Liebe auf eigene Gefahr Roman
zieht Sam schließlich seinen Walkman aus der Jacke und dreht die Lautstärke auf zehn, und wir stecken alle die Köpfe zusammen, um das blecherne Echo aus den gepolsterten Kopfhörern tanzen zu hören, über das Gezeter der Sandinisten hinweg. Beim angestrengten Zuhören hält Jake endlich still, und sein Körper liegt
von der Ferse bis zur Schulter an meinem an. Berührt ihn. Ich spüre seine Schulter, seinen Arm, seinen Oberschenkel, seine Wade. Ganz plötzlich, direkt hier, neben mir. Seltsam. Total seltsam. Genauso seltsam, wie es wäre, beim Berühren des Fernsehbildschirms die warme Haut von Kirk Cameron aus Unser lautes Heim zu spüren.
» Take me down «, grölen die Jungs im Chor, während Laura und ich in Erwartung dessen, was der Nachmittag bringen wird, wie erstarrt dasitzen. Mir vibriert der Arm, als Jake anfängt, mit dem Kopf zum Beat zu nicken. Bald spielen er und Sam Luftgitarre, während Benjy Lauras Rückenlehne als Schlagzeug missbraucht und mit Händen und Füßen synchron dagegentrommelt.
»Ich schätze, wenn ich nach der Schule noch eine Extraschicht arbeite, habe ich bis Ende nächsten Sommers genug für das Schlagzeug beisammen«, verkündet Benjy und schwingt rhythmisch seinen Kopf vor und zurück.
»Unsere Band wird der Hammer«, erklärt Sam, »genau wie Guns N’Roses.«
Nachdem Jake tief Luft geholt hat, schleudert er Sam Axl Roses Refrain ins Gesicht.
Benjy und Sam stimmen ein und brüllen die Antwort. Dad stellt das Autoradio lauter.
»Hat schon jemand einen Bassisten aufgetrieben?«, fragt Jake in die Runde.
»Äh.« Laura dreht sich auf dem Beifahrersitz um und schielt an der Kopfstütze vorbei. »Todd Rawley spielt manchmal im Chorunterricht für Mrs. Beazley.«
»Das solltest du dir mal anhören, Jake«, sagt Sam. Ich sehe, wie Laura rot wird, weil ihr Vorschlag angenommen wurde, bevor sie sich wieder umdreht und in ihrem Mantel versinkt. Weil ich nichts anzubieten habe, lasse ich mich einfach von Jakes Bewegungen vor- und zurückwiegen, starre auf den Schuhabdruck an meinem linken Oberschenkel und spule
sein erstes an mich gerichtetes Wort noch einmal ab, um nach einer tieferen, verborgenen Bedeutung zu suchen.
Es passiert erst, als wir im Kino sind und kollektiv nach rechts rutschen, um mindestens eine Armlehne Abstand zu Jennifer-zwei zu gewinnen, die Sam knutscht, als wäre es der nächste Punkt auf ihrer To-do-Liste . Als Jake Sharpe von der Snack-Theke zurückkommt, spüre ich plötzlich, wie sich dieses Ding in meinem Magen einnistet, dieses gummibandartige Ding. Ein leichtes Stechen bringt mich dazu, mich umzudrehen, und tatsächlich ist er gerade am Ende des dunklen Gangs zur Tür hereingekommen. Das Gummiband zieht sich zusammen, als sich seine schmale Silhouette nähert. Während er an mir vorbeirutscht, ziehe ich die Beine auf den Sitz. Unsere Blicke treffen sich, Popcorn rieselt auf meinen Schoß – das Gummiband ist nun eng zwischen uns zusammengezogen. Es dehnt sich wieder, als er sich auf der anderen Seite neben Benjy plumpsen lässt, der sich sofort auf den Popcorn-Becher stürzt. Ich starre zur Leinwand hoch und lege die Hand auf die Brust. Dieses Ding ist anders, als über Jake Sharpe hinwegzukommen, anders, als Jake Sharpe aus dem Weg zu gehen, sogar anders, als zu wissen, dass Jake Sharpe darüber nachdenkt, wie ich aussehe. Dieses neue Jake-Sharpe-Ding passiert in mir drin, in meinem tiefsten Inneren.
Während die Zuschauer kreischen und Laura ihren Kopf an meiner Schulter vergräbt, schaue ich unbeirrt nach vorne, weil die Bilder nicht in meinem Kopf ankommen – der alte Mann, der sich an die Knöchel fasst, aus denen das Blut schießt, sogar die knotige Wirbelsäule des sterbenden Mädchens. Ich sitze kerzengerade wie auf der Kirchenbank, und jede Faser von mir richtet sich nach diesem neuen Zustand aus, nach diesem Jake-Sharpe-Kompass, zu dem ich gerade geworden bin.
»Ich bringe meine Mutter um!« Laura fährt mit den Händen an der Rückseite ihrer Oberschenkel entlang, breitet ihre viel zu große College-Jacke als Barriere gegen den kalten Bordstein unter sich aus und setzt sich.
»Was hat sie gesagt?« Während die Autos auf der Suche nach einem Parkplatz ihre Kreise ziehen, starre ich über den dunklen Parkplatz zu den funkelnden Lichtern des Foodcourt-Karussells, die durch das gläserne Atrium der Mall sichtbar sind. Jake Sharpe lehnt an der Backsteinwand des Cineplex-Gebäudes. Etwa fünf Meter hinter mir, zu meiner
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