Liebe ist ein Kleid aus Feuer
gleichgültig gewesen, obwohl das Fallen sie jüngst zweimal in nie gekannter Heftigkeit überkommen hatte.
Bihilit hatte äußerst besorgt darauf reagiert und der jungen Kanonisse kräftigere Nahrung und ausreichend Schlaf angeraten. Rose blieb uneinsichtig, wollte von alledem nichts hören und wissen.
»Ich bin noch lange nicht da, wo ich sein sollte«, hatte sie geantwortet. »Muss weiter an mir arbeiten, härter. Demütiger. Das bin ich der himmlischen Jungfrau schuldig.«
»Mir scheint, du strebst mit aller Macht nach Vollkommenheit«, hatte Bihilit gesagt. »Doch kein Mensch kann etwas Vollkommenes schaffen. Das zu tun liegt einzig und allein in der Allmacht Gottes. Er hat uns so gemacht, wie wir sind. Wir sind Menschen, Rose! Vergiss das nicht!«
»Aber meine Seele brennt. Ich brenne! Spürst du das nicht?«
Bihilits sonst so kühle blanke Augen verschleierten sich voller Mitgefühl.
»Gerade deswegen sorge ich mich ja um dich. Manche Kerzen brennen an zwei Enden gleichzeitig. Ihre Glut allerdings ist in der Regel bald erloschen.«
»Aber sie leuchten in der Dunkelheit und vertreiben die Dämonen der Nacht. Lass mich eine dieser Kerzen sein!«
»Um womöglich lange vor der Zeit zum kläglichen Wachsrest zu werden, den man zusammenkratzt und in den Kehricht wirft? Um Gnade kannst du nur beten, Rose. Gnade lässt sich nicht einfordern.«
Bihilit hatte ja Recht, mit jedem einzelnen Wort, das sie sagte, doch das war es, was Rose ganz besonders aufbrachte.
Sie stand auf von dem harten Boden und klopfte ihr staubiges Kleid ab. Die innere Unruhe, die von ihr Besitz ergriffen hatte, ließ sich nicht so einfach abstreifen. Seit Eila nicht mehr bei ihr war und seit sie auch noch Lando weggebracht hatten, war eine Lücke entstanden, etwas, das sich nicht mehr schließen wollte, selbst wenn sie noch so lange betete und sich gänzlich der Nahrung enthielt.
Sie stieß das Fenster auf. Warme Spätsommerluft flutete herein und mit ihr der süße Duft der Rosen, die im Stiftsgarten blühten. Riccardis hatte ihr erzählt, das Grab Mariä sei leer gewesen, als man es nach drei Tagen geöffnet hatte. Nur die Tücher waren noch übrig, in die man ihren Leichnam eingewickelt hatte, sowie duftende Rosen, die von ihrer vorübergehenden Anwesenheit kündeten. Seitdem feierte man in jedem August das Fest ihrer Himmelfahrt. Celia behauptete, nie seien die Kräuter wirksamer, als wenn man sie zu dieser Zeit pflückte. Getrocknet konnte man sie das ganze Jahr über verwenden. Jedes einzelne von ihnen kannte sie, wusste um seine Anwendung, seine Heilkraft. Baldrian zum Räuchern und für guten Schlaf; Frauenmantel, der Blutungen stillen konnte; Johanniskraut zur Beruhigung und gegen Magenweh; Liebstöckel gegen Lungenschmerzen und Wassersucht; Pfefferminz, um die Zähne zu erhalten.
Den Rest hatte Rose vergessen. Jetzt tat es ihr Leid, dass sie wieder einmal nur mit halbem Ohr zugehört hatte, als die Infirmarin ihre botanischen Erklärungen abgegeben hatte. Die ganze letzte Zeit über war sie so matt und schwach gewesen, stets tief in Gedanken versunken, immer bedrückt und halb abwesend.
Doch nun hatte der duftende Bund ihren Tatendrang neu geweckt. Rose sah sich in der Zelle um. Alles hier drinnen kam ihr auf einmal muffig und abgestanden vor. Der Sommer fand nur draußen statt, vor dem Fenster, nicht innerhalb dieser Wände, die ihr Zuhause geworden waren. Weshalb den Mief nicht auf der Stelle beseitigen? Rose entschloss sich, endlich das alte Stroh herauszureißen und mit ihm all die schlechten Träume.
Kissen und Laken flogen auf den Boden, das Stroh gleich hinterher, und bald war die Zelle von winzigen goldenen Halmen übersät, die sie in der Nase kitzelten. Sie musste niesen, viele Male hintereinander, und als der Reiz endlich abebbte, wurde ihr auf einmal ganz flau zumute. Jetzt überkam sie Ängstlichkeit. Lag da nicht schon wieder eine Ahnung des Duftes in der Luft, der stets das Fallen ankündigte?
Sie versuchte gleichmäßig zu atmen und fuhr in ihrer Arbeit fort, wenngleich langsamer als zuvor. Sie erstarrte, als ihre Finger etwas Hartes ertasteten. Sie wusste sofort, was es war, noch bevor sie es gesehen hatte: die Lunula! Aber wie war sie nach all den langen Monaten so tief unter das Stroh der Bettstatt geraten?
Rose zog das Amulett aus dem Stroh, drückte es an ihre Lippen, wieder und wieder. Es war kühl und glatt, unendlich kostbar für sie. In ihrem Kopf begann es zu rauschen, so groß war ihre Freude,
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