Liebe ist staerker als Haß
wurde, ein Jahr nach dem von den Howards herbeigeführten Hungertod ihrer Mutter, Rogans erste Frau gefangengenommen. Severn schloß die Augen, als er jetzt daran dachte. Denn in dem Kampf um ihre Befreiung waren Basil und James gefallen.
Nun waren nur noch drei Brüder am Leben. Rowland, der älteste, hatte die Wachsamkeit gegen die Howards und die Ausbildung der Brüder verschärft. Noch aufmerksamer als zuvor wachte Rowland über Zared. Er zwang sie, genauso hart zu üben wie ihre Brüder. Sobald er nur ein Anzeichen von Weichheit an ihr entdeckte, schritt er erbarmungslos ein.
Als Howards Männer dann vor vier Jahren Rowland umbrachten, waren Rogan und Severn völlig niedergeschlagen. Rowland war ihr strahlender Führer gewesen, der Halt für den Rest der Familie.
Nach Rowlands Tod begann Zared nachts zu weinen, wie früher ihre Mutter. Als Severn es zum ersten Mal hörte, glaubte er, es wäre das Gespenst, das in der Burg Moray umging. In der zweiten Nacht stand er auf, um sich zu überzeugen: Zared lag im Halbschlaf auf einem nassen Kissen im Bett. Sie war dreizehn Jahre alt; aber als er sie in die Arme nahm, fiel ihm auf, wie zart sie war. Sie flehte ihn an, keinem zu erzählen, daß sie geweint hatte, und er versprach es ihr hoch und heilig.
Danach weinte sie nie mehr so, daß es zu hören war. Doch manchmal ging er zu ihr und sah, daß sie lautlos im Schlaf weinte. Zuerst dachte er, die Ursache ihrer Tränen wäre Kummer - denn sie hatte in ihrem kurzen Leben schon viele Tote gesehen -, aber bald war ihm klar, daß mehr dahintersteckte. Er glaubte, daß Zared selbst nicht wußte, warum sie weinte, und kam zu dem Schluß, daß es daran liegen mußte, daß sie sich einsam fühlte. So einsam, wie ein Mensch nur sein kann.
Einmal erwähnte Severn gegenüber Rogan, daß es besser wäre, wenn sie Zared erlaubten, sich als Mädchen zu zeigen. Aber während Rogan noch darüber nachdachte, entführte Oliver Howard Rogans Frau, und die Peregrines verschärften erneut ihre Wachsamkeit.
Zu ihrer eigenen Sicherheit mußte Zared die Verkleidung beibehalten.
Nun sah Severn, wie Smith Zared in den Armen hielt, und er lächelte. Zared war so offensichtlich weiblich, daß es für ihn unglaublich war, wie andere sie für einen Jüngling halten konnten. Rogan und er hatten sie immer gehänselt, weil sie dann wütend wie eine Wildkatze wurde - nur Krallen und Zischen. Doch die Männer in ihrem Dienst schienen ihre Männlichkeit nie in Frage zu stellen. Soweit ihm bekannt war, hatte noch keiner herausgefunden, daß sie ein Mädchen war. Sogar Liana, seiner klugen Schwägerin, mußten sie es erst sagen.
Bis Smith kam. Dieser Mann erklärte, er habe von Anfang an gewußt, daß sie ein Mädchen war. Und Severn glaubte ihm. Er wußte, daß Liana es nur ihren Ladys erzählt hatte, keinem anderen. Sie kannte nur zu gut die Gefahr, welche die Howards für Zareds Sicherheit darstellten. Doch Smith hatte es gewußt.
Severn sah, wie Smith Zared wieder ins Bett legte und dann zu seinem eigenen Lager zurückging. Wenn Zared heiratete und zu ihrem Ehemann zog, würde sie aus dem Krieg der Peregrines und Howards heraus sein. Dann konnte sie irgendwo in Ruhe und Frieden leben. Sie würde hübsche Gewänder anlegen und sich die Haare wieder bis tief in den Rücken wachsen lassen können wie früher als Kind. Ich würde sie gern als frauliche Schwester sehen, dachte Severn, mit einem dicken Säugling an der Hüfte und einem Lächeln auf den Lippen. Es wäre schön, sie bei einer anderen Tätigkeit zu erleben als bisher, nämlich bei Kampfübungen mit dem Schwert auf die Jungen einzuschlagen.
Wieder lächelte er. Es sah so aus, als habe Liana richtig gewählt.
Tearle erwachte früh, aber nicht ganz so früh wie die Peregrines. Sie waren beide schon aus dem Zelt. Er hörte draußen leise Stimmen und das Plätschern von Wasser. Das erinnerte ihn wieder daran, daß Zared am gestrigen Abend Colbrand gewaschen hatte. Noch bevor er vollends wach wurde, spürte er, wie die Wut in ihm hochkam. Er zog die Strümpfe an und wollte gerade den Kopf in das Leinenhemd stecken, als er innehielt. Vielleicht würde es Zared ganz guttun, wenn sie mal einen anderen Mann außer Colbrand zu sehen bekäme.
Mit nacktem Oberkörper trat er vor das Zelt, gähnte und reckte sich. Severn saß draußen auf einem niedrigen Schemel, und Zared wusch ihm den Rücken.
»Guten Morgen«, sagte Severn zu Tearle und lächelte ihn an.
Tearle beachtete Zared nicht, sondern
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