Liebe läßt alle Blumen blühen
auf die Dauer nicht möglich.« Er wurde ungeduldig. »Außerdem ist die Zeit gegen uns. Ich habe heute von Julio neue Nachrichten bekommen. Sie holen die Sachen in zehn Tagen ab, und zwei Tage darauf liefert Achmed neu an! Die Fremden müssen also von hier verschwinden – ganz gleich, wie! Chérie, es geht jetzt buchstäblich um unseren Kopf!«
Es gibt Probleme, die man zerreden kann – Politiker sind darin oft Meister –, aber es gibt auch welche, die mit jedem Wort wachsen und deren Lösung immer aussichtsloser wird: Man hat dann das Gefühl, in einem Labyrinth umherzuirren, einem Labyrinth ohne Ausweg.
Der Urlaubsaufenthalt der Deutschen in der Moulin St. Jacques schien sich zu einem solchen Problem auszuwachsen. Lulu drückte es ganz so banal aus: »Wir können sie nicht wegzaubern«, sagte sie. »So gut kenne ich die beiden nun schon: Die weichen nur, wenn die Mühle abbrennt!«
»An so etwas sollte man nicht einmal denken!« Der Reiter, der sich Raoul nennen ließ, beobachtete durch sein Fernglas wieder die Gegend bis nach Mas d'Agon hin.
»Was tun wir also?«
Lulus Puppengesicht wurde plötzlich starr. In ihren großen blauen Augen war auf einmal Angst zu lesen. »Nein!« sagte sie leise. »Das mache ich nicht mit! Das kannst du nicht verlangen!«
»Was denn?« fragte der Reiter und richtete sein Fernglas auf einen Punkt in der Ferne.
»Du kannst sie nicht einfach umbringen.«
»Wer sagt denn so etwas?« erkundigte sich Raoul betont gleichgültig.
»Ich merke es an deinem Schweigen, woran du denkst! Raoul, wir können doch jetzt, wo sie weg sind, schon ein paar Säcke fortschaffen.«
»Zu spät! Dort kommt Andratte mit der Feuerwehr! Versteck dich wieder!«
»Du bringst sie nicht um!« schrie Lulu plötzlich. Mit beiden Händen fuhr sie sich durch die Haare und zerraufte sie. »Dieser Mist da unten im Keller ist es nicht wert.«
»Dieser Mist repräsentiert immerhin einen Wert von etwa vier Millionen Francs!« Der Reiter strahlte bei diesem Satz eine Ruhe aus, die Lulu unheimlich wurde. »Tatsächlich, es ist unser alter Spritzenwagen. Die Idee mit dem Verschwinden im Etang war reichlich dumm. Jetzt wird es hier tagelang von fremden Menschen wimmeln. Genau das Gegenteil von dem, was für uns nützlich wäre.«
»Die Idee stammt von Ludwig Zipka.«
»Wer ist denn das?«
»Monsieur …«
»Du mußt dich verstecken, chérie.«
»Wenn du sie umbringen willst, mußt du das auch mit mir tun!«
»Darüber kann man noch reden.« Der Reiter steckte das Fernglas ein, tätschelte Lulu die Wange und gab ihr dann eine leichte, zärtliche Ohrfeige. »Los, verschwinde nach oben! Es wird mir schon etwas einfallen, die Leute von der Mühle wegzulocken. Ich werde mich selbst darum kümmern.« Er zog das Fenster herunter, nickte Lulu noch einmal zu und ging dann zu seinem weißen Pferd. Elegant schwang er sich in den Sattel und verriet damit den geübten Reiter. Er ließ das schöne Pferd ein wenig herumtänzeln, dann trabte er los zum Ufer des Etang. Dort ließ er das Pferd im Schritt durch das versumpfte Schilf gehen und tat so, als suche er jeden Meter Boden genau ab.
Über den Feldweg rumpelte mit knatterndem Motor die Feuerwehr von Mas d'Agon. Obgleich nirgendwo ein Hindernis zu sehen war und auch niemand die Vorfahrt nehmen konnte, raste der rotlackierte Wagen mit helltönendem Gebimmel heran, ab und zu noch verstärkt durch das Geräusch einer alten Hupe. Sergeant Andratte folgte auf dem von Dupécheur geliehenen Motorrad dem roten Gefährt, das mit vier Mann und einem Fahrer besetzt war. Andratte hatte sein Käppi durch einen um das Kinn gezogenen Sturmriemen gesichert. Er hüpfte wie ein Rennfahrer über die höckrige Mühlenauffahrt, umklammerte das Lenkrad, hatte sich weit vorgebeugt und trug eine Starrheit in den Augen, die weniger von einem eisernen Willen zur Pflichterfüllung, als vielmehr von der gefürchteten Erwartung herrührte, wann er wohl vom Sitz des Motorrads geschleudert würde.
Auf dem Vorplatz der Mühle angekommen, bremste er, ließ sein Gefährt umkippen und entfernte sich mit drei Sprüngen, als habe er Angst, das Teufelsding könne nachträglich noch hinter ihm explodieren.
Die Feuerspritze von Mas d'Agon aber donnerte stolz über den Feldweg mit Glockenklang und Hupengedröhne.
Man muß wissen, daß diese Feuerwehr der Stolz von Mas d'Agon war. Es gab wohl keinen Bürger im weiten Umkreis, der nicht mit Ehrfurcht und geradezu nationalem Stolz von diesem rotlackierten
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