Liebe lieber lebenslänglich: Roman (German Edition)
kümmert. Hinterher bin ich zu Hause ins Internet, um mir die Homepage dieser Organisation anzusehen. Weißt du, nur so, weil es mich interessiert hat. Und, tja, die hatten dort eine Stelle ausgeschrieben. Im Prinzip das Gleiche, was ich jetzt mache, nur eben für eine wohltätige Organisation. Und es kam mir vor wie ein Zeichen, also habe ich mich beworben.«
»O mein Gott, Wendy, das ist großartig.«
»Und ich wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen.«
»O mein Gott! Und, wie ist es gelaufen?«
»Ich habe den Job!«
»Das ist toll.«
»Findest du?«
»Natürlich, du etwa nicht?«
»Schon, aber ich dachte, du wirst mich hier vielleicht vermissen. Außerdem habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich weiß, dass du im Moment ziemlich down bist, und ich lasse dich nicht gern im Stich. Hör zu, ich kann es noch ein oder zwei Monate hinauszögern, um länger in deiner Nähe zu sein, wenn du möchtest. Nur so lange, bis die Wunden einigermaßen verheilt sind.«
»Wendy, natürlich werde ich dich vermissen, aber das sind großartige Neuigkeiten. Super Neuigkeiten! Du musst so schnell wie möglich dort anfangen. Das ist eine richtig tolle Sache.«
»Ich weiß, und die haben mir sogar eine bessere Stelle angeboten. Grace, die sind schwer begeistert von mir. Sie wollen, dass ich richtig fett einsteige, in der Öffentlichkeitsarbeit und so. Sie haben gesagt, ich hätte sie mit meinem Enthusiasmus und meinem Herzblut beeindruckt. Und sie können es kaum erwarten, dass ich bei ihnen anfange.«
»Oh, ich fühle mich wie eine stolze Mutter.«
»Achtung, Posh-Boy-Alarm.«
»Wo?«
»Kommt gerade rein.«
Wir springen auseinander und setzen uns wieder an unsere Computer. Ich öffne meine E-Mails und setze mein Ich-arbeite-sehr-hart-Gesicht auf, als ich sehe, dass ich eine neue Nachricht von einem unerwarteten Absender habe: von Anton. Ich lächle, nur weil ich seinen Namen auf dem Bildschirm lese. Ich öffne die E-Mail und finde einen Link zu YouTube, den ich anklicke. Ich höre, dass Posh Boy in meine Richtung kommt, aber ich kann die Augen nicht von meinem Monitor abwenden.
Damit habe ich nicht gerechnet. Der Ton klingt blechern, und das Bild ist unscharf, aber es ist eine Videoaufnahme von mir. Ich stehe mit meinem Vater in Rom auf der Bühne, an meinem absoluten Lieblingstag. Ich atme tiefer, und meine Hand wandert an den Monitor. Das bin ich, in dem blauen Kleid, in dem ich mich kaum bewegen konnte. Das war wirklich ich an diesem Tag. Mein Vater tanzt neben mir im Scheinwerferlicht, und als er pausiert, wendet er sich mir zu und lächelt. Es ist ein reizendes Lächeln, doch ich habe es damals nicht wahrgenommen, weil ich bereits begonnen hatte, dem Publikum zuzusingen. Jetzt, mehr als zehn Jahre zu spät, erwidere ich das Lächeln. Ich höre mich übrigens gut an. Ich mache den Eindruck, als wäre ich für die Bühne geboren. Aber wenn ich für die Bühne geboren bin, was mache ich dann hier? Bevor diese Überlegung mich runterziehen kann, denke ich schnell an etwas Fröhlicheres. Anton muss mich gegoogelt haben!
»Was ist das?«, fragt John.
Er steht jetzt hinter mir und legt eine Hand auf meine Schulter. Gebannt schaut er auf meinen Monitor.
»Scheiße, Grace, bist du das, die da singt?«, kreischt Wendy, die sich nun zu uns gesellt.
Wir sehen uns das Video bis zum Schluss an.
»Grace, das ist …«, sagt John, nachdem es zu Ende ist. »Du bist eine Art Superstar.«
»Sie ist ein Superstar.«
»Wir könnten mit ihr einen Werbejingle für MAKE A MOVE machen.«
Ich lasse sie hinter mir plappern. Ich kann nicht reden. Ich fühle mich benommen, ich wünschte, ich wäre wieder in Rom.
»O. Mein. Gott. Grace, lies mal die Kommentare darunter. Wahnsinn.«
Ich überfliege die Kommentare, die die Leute dazu geschrieben haben. Es sind insgesamt sechsundfünfzig, und sie sind überwiegend positiv:
Sie ist super.
Wer ist dieses Mädchen?
Was macht sie heute?
Ich liebe diesen Song. Gibt es davon eine Studio-Aufnahme?
Obwohl auch ein paar Kommentare von Männern dabei sind, die auf ziemlich vulgäre Art den Wunsch bekunden, mich flachzulegen. Einer spekuliert sogar darüber, wie es wohl sein würde, meinen Vater flachzulegen.
Ich verlasse YouTube und klicke wieder auf Antons E-Mail. Alles, was er dazu geschrieben hat, ist Folgendes:
Grace,
ich hoffe, es geht dir besser. Ich denke an dich. Oft. Ich würde sehr gern dieses Lied mit dir singen. Verzeih mir, dass ich noch einmal versuche, dich zu
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