Liebe, Sex und andere Katastrophen
furchtbar aus. Das Make-up war verschmiert, Haarsträhnen klebten an ihrer schweißnassen Stirn. Ihre Wangen waren so weiß wie ein Blatt Papier. Sie fühlte sich schrecklich und fragte sich, ob sie das Erlebte je vergessen konnte. Seufzend drehte sie das Wasser auf, zupfte ein paar Tücher aus dem Spender neben dem Waschbecken und befeuchtete sie. Wimperntusche, Kajal und Lidschatten ließen sich nur schwer entfernen. Wild rieb sie über ihre Augen, bis sie ganz rot waren. Dann begann sie hemmungslos zu schluchzen. Das Opfer, das überlebt hatte, war keine Frau, sondern ein junges Mädchen, kaum älter als sie. Kurz, nachdem Anthony einen leichten Puls am Handgelenk des Mädchens gespürt hatte, waren die Einsatzkräfte eingetroffen und hatten sich um alles Weitere gekümmert.
Olive hatte noch gehört, wie einer der Sanitäter von einem glatten Bauchschuss gesprochen hatte, und war dann schluchzend zusammengebrochen.
Die Polizistin, die hinter ihr stand, kam näher und legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter.
»Schon okay«, presste Olive hervor. »Es geht schon wieder.«
»Soll ich den Arzt noch einmal rufen?«
»Nein, er hat mir schon Beruhigungsmittel für drei Wochen gespritzt.« Sie warf die Tücher in den Papierkorb unter dem Waschbecken und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Es nützte nichts. Man sah ihr deutlich an, dass sie geweint hatte und fix und fertig war.
Die Polizistin begleitete sie schweigend zurück zum Warteraum der Notaufnahme.
»Liv!« Anthony sprang vom Stuhl auf und riss sie förmlich in seine Arme. Sie schloss die Augen und sank an seine Brust. Sein Herz schlug schnell und laut. »Alles okay?«, fragte er und strich über ihr Haar.
Nickend sah sie ihn an. Sogar ein kleines Lächeln brachte sie zustande. Er trug jetzt ein sauberes T-Shirt, worüber sie sehr froh war. Der Polizeibeamte, der mit verschränkten Armen am Fenster stand und sie beobachtete, hatte es ihm netterweise besorgt. Weil an Anthonys Hemd Blut des verletzten Mädchens klebte, hatte ein anderer Beamter es als Beweismaterial in einen Plastikbeutel gepackt.
Olive war immer noch geschockt, dass das überlebende Opfer keine Frau, sondern ein Mädchen in ihrem Alter war. Seit sie vor drei oder vier Stunden von den Beamten ins Krankenhaus gebracht worden waren, fragte sie sich ständig, ob sie nicht hätten eingreifen sollen. Ob sie nicht hätten versuchen sollen, den Tod der beiden Männer zu verhindern. Doch sie kam immer wieder zum selben Entschluss: Hätten sie sich bemerkbar gemacht, wären sie jetzt auch tot.
Die Tür des Wartezimmers wurde schwungvoll aufgestoßen. Olives Vater brauste herein.
Als er sie und Anthony erblickte, blieb er wie angewurzelt stehen. Olive sprang auf und warf sich heulend in seine Arme. Er drückt sie fest an sich und versprach im Flüsterton, dass alles gut werden würde. Dann ging er mit ihr zu den Stühlen zurück und setzte sich. Anthony streifte er wortlos mit einem anklagenden Blick.
»Hat der Arzt dich angesehen?«
»Ja, ich habe etwas zur Beruhigung bekommen. Es geht schon wieder.«
»Erzähl mir, was passiert ist.«
Obwohl sie sich vor seiner Reaktion fürchtete, gestand sie alles. Anthony schwieg. Er war so bleich wie die Wände des Wartezimmers.
Der Uniformierte am Fenster kam zu ihnen und gab ihrem Vater eine Beweismitteltüte. Darin befand sich Anthonys Handy.
»Der Junge hat gut reagiert und alles gefilmt, was passiert ist«, erklärte der Polizist mit ruhiger Stimme. »Er war es auch, der den Notruf gewählt und Erste Hilfe geleistet hat.«
Ihr Vater musterte den Beutel kurz. »Sorg dafür, dass Tom das bekommt«, befahl er mit rauer Stimme. »Er soll sich gleich an die Auswertung machen.«
Der Beamte stutzte. »Aber Tom ist noch zu Hause und schläft.«
»Dann weck ihn auf! Er soll seinen Hintern sofort ins Präsidium bewegen.«
»Ja, Sir!« Der Beamte räusperte sich verlegen und eilte davon.
Nur wenige Augenblicke später erschien ein Arzt. Seine Miene wirkte angespannt. »Die Patientin hat die Operation soweit gut überstanden, aber noch ist sie nicht außer Lebensgefahr«, verkündete er mit monotoner Stimme. »Gibt es Verwandte, die informiert werden müssen?«
Olives Vater nickte. »Ihre Mutter wurde bereits kontaktiert. Eigentlich müsste sie schon hier sein.«
»Gut. Wenn sie eintrifft, werde ich mit ihr die näheren Einzelheiten besprechen.« Der Arzt zog sich zurück.
Olives Vater trat ans Fenster, fuhr sich seufzend durchs Haar und
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