Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise
Lithiums, dank der Ärzte und Schwestern, dank Mami, dank der Omis und Onkels und Tanten, dank Kourosh und Peer, dank Maria und Wolfgang. Und dank Sophie.
Aber das wäre alles nichts gewesen, wenn es Dich nicht gegeben hätte, mein lieber Matz. Der Gedanke an Dich hat mir immer wieder Kraft gegeben, wenn ich am liebsten aufgegeben hätte oder vor Traurigkeit verschwunden wäre. Tatsächlich bist Du in dieser schweren Zeit für mich das gewesen, was ich für Dich sein will.
Mein Leuchtturm. Meine Orientierung in der Not.
Dafür danke ich Dir ganz besonders.
endlich bin ich wieder draußen. Ich habe mich selbst entlassen. Das geht, weil ich mich ja auch selbst eingeliefert habe. Gegen den Willen eines Patienten darf man nur dann festgehalten werden, wenn man für sich oder für andere eine Gefahr darstellt. Das tue ich wohl nicht mehr. Meine Medikamente nehme ich weiter, und ich muss auch regelmäßig zum Meisendoktor zur Kontrolle. Außerdem überlege ich mir, vielleicht doch eine Gesprächstherapie anzufangen. Mal sehen. Erst mal draußen sein. Ich freue mich so auf Dich. Dennoch wird es noch einige Zeit dauern, bis wir uns wieder regelmäßig sehen können. Sei mir bitte nicht böse, aber ich muss erst einmal nach Essen. Mir ist mulmig zumute, wenn ich daran denke. Doch ich möchte möglichst schnell loslegen, denn ich befürchte, dass ich die Theaterarbeit sonst verlerne wie eine fremde Sprache, die man nicht regelmäßig spricht.
Es gibt aber noch einen anderen Grund, der wesentlich schwieriger zu erklären ist – ich habe mich entschieden, ein paar Tage mit Sophie wegzufahren. Ich weiß nicht, wohin das führt, und ich weiß sehr wohl, dass es Ada unendlich kränkt, aber ich kann einfach nicht anders. Ich merke zwar, dass es mir körperlich bessergeht, aber seelisch bin ich noch immer nicht im Lot. Mir fehlt das Gleichgewicht. Da ich mich in dieser Hinsicht selbst gerade nicht verstehen kann, erwarte ich auch gar kein Verständnis von Dir oder von Mami.
Wir sehen uns erst mal am Wochenende. Versprochen.
schön ist es am Meer. Einsam und still. Und windig. Man merkt, dass der Sommer nun so gut wie vorbei ist. Darüber gibt es ein schönes Lied von The Doors. Summer is almost gone heißt das. Ich kann mir gerade kein passenderes Lied für mich vorstellen. Vor mir liegt eine schwere Zeit. Das merke ich ganz deutlich. Der Sommer war heiß und verrückt. Und er war grausam – für mich und für die um mich herum. Aber ich hatte ja die Meisenenergie. Der kommende Winter wird kalt und erbarmungslos nüchtern für mich sein. Nicht nur, weil ich mir vorgenommen habe, keinen Alkohol mehr zu trinken. Ich nehme mir viele Dinge vor, die ich nicht mehr machen möchte. Nicht mehr gegen meinen Willen. Nicht mehr gegen mein Gefühl.
Klar sein. Klar bei Verstand. Klar im Herzen. Mein Herz fühlt sich an, als ob es den ganzen Sommer über geblutet hätte und nun langsam durch den Verband tropft. Kleckert. Kleckern statt klotzen. Ich weiß, wie das gehen soll, aber nicht, ob ich das aushalten werde. Sophie redet mir gut zu. Sie bestärkt mich. Sie meint auch, ich müsse erst einmal versuchen, allein klarzukommen. Allein war ich noch nie. Oder sagen wir: noch nie gern. Ich weiß nicht, wie das geht. Gern allein sein ist mir so fremd wie Dir Zimmer aufräumen oder Hausaufgaben machen. Kann ich das überhaupt?
Omi Frauke hat mir angeboten, ich könne in die kleine Ein-Zimmer-Wohnung in Winterhude ziehen, die ihr gehört. Gerade sei die bisherige Mieterin ausgezogen. Was meinst Du? Wir würden uns trotzdem täglich sehen, wenn ich in Hamburg bin, nur zum Schlafen würde ich nach Hause fahren. Nach Hause. Ha. Du könntest dann auch bei mir schlafen. Die Wohnung ist klein, aber wir würden es uns schon schön machen, oder?
Es klingt vernünftig, und vernünftig soll ich ja sein.
In Vernunft bin ich nicht so gut.
Papa allein zu Haus.
Mal sehen.
Bis gleich.
mein Gott, war das schön!
Mit Dir zu sein, Dich um mich zu haben. Dich in den Arm zu nehmen. Dich lachen zu hören. Es kam mir vor, als hätte ich Dich eine Ewigkeit nicht gesehen. So war es ja auch. Du bist so groß geworden. So erwachsen. Das klingt total albern, aber so ist es. So lang darf ich nie wieder weg sein. Das habe ich mir geschworen und auch schon die Fahrkarten für die Wochenenden gebucht. Essen–Hamburg und zurück. Das Theater soll sich von nun an gefälligst hinten anstellen. Es hat genug von mir gehabt. Genommen. Ich möchte mein Leben zurück.
Ich
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