LIEBES LEBEN
anziehen? Ich wünschte, ich könnte mit dir einkaufen gehen, aber ich glaube, wenn ich das morgen hinter mir habe, wird mir nicht nach Einkaufen zumute sein. Zeigst du mir die Klamotten vorher?«
Ausgehen ist vor allem ein Grund, einkaufen zu gehen. Ich höre schon, wie Ann Taylor nach mir ruft und weiß, dass ich unbedingt die perfekte Kombination zwischen ›Ich sehe super aus‹ und ›Nein, ich versuche nicht, super auszusehen‹ finden muss.
»Bei Ann Taylor habe ich letzte Woche einen entzückenden Hosenanzug im Schaufenster gesehen. Er war kastanienbraun mit Perlen.«
»Kastanienbraun steht dir nicht, Ash. Du brauchst eine leuchtende Farbe, wie Rot oder Weiß im Oberteil. Und außerdem, mit Perlenstickerei zu Fresh Choice gehen? Ich glaube, es wird dir peinlich sein, wenn irgendein kleines Kind seinen Vitaminsaft über dich leert.«
Natürlich hat sie recht. Das hasse ich. »Na gut, bei Talbot gibt es noch ein hübsches Matrosen-Outfit. Ich habe es im Katalog gesehen. Es ist rot.« Und so gehen die Diskussionen um die perfekte Aufmachung weiter. Da Brea beim Einkaufen nicht körperlich anwesend sein kann, muss sie wenigstens im Geist dabei sein, und so sprechen wir alles genauestens durch, bis zu den Ohrringen und der Farbe des Lippenstifts. Das muntert uns beide auf.
Als ich aufgelegt habe, zaubere ich mir ein Feinschmeckermenü aus Instant-Nudelsuppe und Cola Light und mache mir einen gemütlichen Abend mit dem falschen Traumprinzen aus der Datingshow. Doch diese erbärmliche Ansammlung zappeliger Frauen halte ich nur fünf Minuten aus, weil es noch der Anfang der Saison ist.
Kein Wunder, dass uns die Männer für jämmerlich halten. Ich kann es kaum glauben, dass ich zur gleichen Spezies gehöre wie diese Frauen, geschweige denn zum gleichen Geschlecht. Kein Wunder, dass meine Mutter glaubt, ich sei zu intelligent für die breite Masse der Männer. Wenn man sich diese Sendung ansieht, ist sogar Playboy-Star Anna Nicole Smith zu klug für die meisten Männer.
Ich schalte den Fernseher aus und greife nach einer Frauenzeitschrift, um dann festzustellen, dass der Rest der Welt voll und ganz in seinem Sexualleben aufgeht. Irgendwann im Verlauf eines Jahres spulen die Frauenzeitschriften nur noch die alte Leier über Geschlechtskrankheiten und wie man trotzdem noch guten Sex haben kann ab. Nichts mehr von Mode - es sei denn, man rechnet Unterwäsche zu Mode. Wenn die Frauen von der Venus sind, dann lebe ich auf dem Pluto.
In unserer »modernen« Gesellschaft noch Jungfrau zu sein gibt mir das Gefühl, die totale Außenseiterin zu sein. Und doch bin ich Gott jedes Mal, wenn ich diese Zeitschriften lese, dankbar, dass er mich so bewahrt hat. Ich will darauf vertrauen, dass eines Tages irgendwo irgendein Mann die Tatsache, dass ich noch Jungfrau bin, als Geschenk ansieht und mich nicht nur fragt, ob mit mir etwas nicht stimmt. Brea hat ihren Mann gefunden, und irgendwo da draußen sucht meiner nach mir. Vielleicht ist es Seth. Wenigstens habe ich es nicht vollkommen aufgegeben. Ich habe immer noch einen Hoffnungsschimmer in mir.
Ich mache es mir in meinem Sessel bequem und verdränge den Gedanken, dass Seth am Telefon ziemlich sachlich klang. Aha, sind wir jetzt bei der Telefonanrufanalyse angekommen? Was er gesagt hat, was er wohl gemeint hat. Was ich gesagt habe, was ich gemeint habe, was ich anders hätte sagen sollen ...
Am Schluss bleibt nur, dass er sachlich klang. Er wirkte nicht besonders überschwänglich, aber er war auch im Büro. Er kann mich ja schlecht umschwärmen, wenn er im Großraumbüro sitzt. Und außerdem ist er Seth. Er ist also emotional sowieso nicht in der Lage zu flirten. Schließlich beschließe ich, dass es nichts gibt, worüber ich mir Sorgen machen müsste. Seth will mit mir ausgehen.
Ich schaue auf die Uhr, und es ist schon halb neun. Zu spät, um noch ins Einkaufszentrum zu gehen. Also schnappe ich mir ein paar Kataloge, um Ideen zu sammeln, und plane meinen großen Auftritt bei Fresh Choice. Ich werde vor Schönheit erstrahlen. Wie heißt das noch mal in diesen Liebesromanen? Ach ja, betörend. Ich werde betörend sein. Oder bezaubernd. Klingt beides gut. Ich werde dafür sorgen, dass Seth bei meinem bloßen Anblick sprachlos ist. Er wird die schreienden Kinder und die Schnellrestaurant-Atmosphäre gar nicht mehr bemerken. Nein, er wird nur noch mich sehen.
Es ist Mittwoch, und ich habe immer noch nichts zum Anziehen gefunden. Man findet nie etwas, wenn man danach sucht.
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