LIEBES LEBEN
Alte-Jungfern-Kleid tanzen, verbittert, weil meine Gelegenheit nie gekommen ist.
»Mei Ling ist ein hübscher Name.«
Jetzt spricht er in einem Tonfall, den ich noch nie von ihm gehört habe. Er klingt sanft und fürsorglich, und es macht mir offen gestanden etwas Angst. »Sie kennt niemanden aus unserer Familie, Ash. Sie braucht eine Brautjungfer, eine Brautparty und was sonst noch so alles dazugehört. Das ganze Programm. Es ist eine lange Geschichte, aber sie ist jetzt hier, und ihre Angehörigen können natürlich nicht kommen. Sie dürfen nicht aus China ausreisen. Die Kommunisten denken wohl, sie kommen nicht mehr zurück.«
»Hast du gesagt, sie ist aus Michigan?«, frage ich, aber egoistisch, wie ich bin, stelle ich mir schon das Brautjungfernkleid vor und bekomme eine Panikattacke. Im Grunde geht es darum, nicht die Kontrolle zu haben. Keine Brautjungfer hat die Kontrolle, und welche Silicon-Valley-Bewohnerin kann so etwas schon ertragen?
»Weiß sie, dass die Brautjungfern ihre Kleider selbst aussuchen? Ich kann mit ihr einkaufen gehen.«
»Nein, sie kennt diese ganzen Traditionen nicht«, antwortet er, ohne nachzudenken, und mein Herz fängt wieder an zu schlagen. Wenn ich schon die Brautjungfer für eine Schwägerin sein soll, die ich nicht kenne, dann will ich wenigstens umwerfend aussehen dabei. »Du musst sie noch über all das aufklären. Sie ist in eher bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen.«
Schuldgefühle überkommen mich. »Dave, das stimmt eigentlich gar nicht. Die Braut sucht alles aus.«
»Egal, wie auch immer. Mei Ling möchte nur, dass unsere Familie glücklich ist damit. Ihre Familie kann natürlich nicht dabei sein, und deshalb ist sie traurig. Du wirst doch für sie tun, was du kannst, oder?«
Die Zärtlichkeit in der Stimme meines Bruders zeigt mir, dass Mei Ling nicht nur irgendein Naivchen ist, das zur falschen Zeit am falschen Ort war. Sie bedeutet ihm wirklich etwas, und zum ersten Mal kommt mir der Gedanke, dass mein Bruder vielleicht doch nicht so verkorkst ist. In seiner breiten Brust scheint tatsächlich ein Herz zu schlagen. Will ich das wirklich erleben? Es ist so viel einfacher, Dave als Versager abzuschreiben und es Gott zu überlassen, etwas aus ihm zu machen.
»Ich freue mich wirklich für dich Dave, ehrlich.« Jetzt kommen mir die Tränen, und das macht mich wahnsinnig, zum Teil, weil ich mir mein Make-up nicht ruinieren will, und zum Teil, weil ich merke, dass ich meinen Bruder tatsächlich liebe. Ich will einfach nur, dass er erwachsen wird, und vielleicht ist das Gottes Weg, dass ich es zulasse, dass er das zuerst tut, was ich mir so sehr wünsche. Oh, welche Demütigung!
»Weißt du, ich denke gar nicht wirklich, dass du eine Bus-Braut bist«, sagt Dave.
So, jetzt flippe ich vollkommen aus. Dave kommt auf mich zu? Nachdem er sich letzte Woche bei Mama schon minutenlang anständig benommen hat? »Wir wollen es mal nicht übertreiben«, erwidere ich schnell. Dave sieht für eine Frau über dreißig keine Existenzberechtigung auf diesem Planeten, es sei denn, sie macht seine Wäsche. »Gib mir Mama noch mal, bitte.«
Wieder Schlurfen im Hintergrund, und dann ist meine Mutter wieder am Telefon. »Es ist so schön, dir und deinem Bruder zuzuhören. Bist du nicht begeistert, dass du die Brautjungfer sein darfst?«
»Natürlich bin ich das.« Was soll man dazu sagen, dass man für jemanden, den man noch nie gesehen hat, eine so ehrenwerte Aufgabe übernehmen darf? Es ist seltsam. Aber mein Bruder heiratet. Natürlich kann ich mit den ganzen Bräuchen nicht viel anfangen.
»Sie ist so eine Liebe. Ich glaube, du wirst dich wunderbar mit ihr verstehen. Sie erinnert mich an das Mädchen, für das du arbeitest - nur ein wenig.«
»Purvi?«
»Purvi, genau. Natürlich ist sie Inderin, und Mei Ling ist Chinesin, aber sie sind beide klein und ... wie sagt man?«
»Asiatinnen?«
Meine Mutter lacht. »Nein, meine Liebe, nicht Asiatinnen. Sie sind beide ... Orientalinnen.«
Ich schlage mit der Stirn auf den Tisch. Indien mag zwar geografisch zu Asien gehören, aber die überqualifizierte, unabhängige Purvi Sharma hat mit Mei Ling wahrscheinlich genauso viel gemeinsam wie Pamela Anderson mit mir.
»Mama, Orientalin ist heutzutage eher ein unhöfliches Wort«, entgegne ich. Als wüsste sie das nicht, wo sie doch im asiatischen Teil Kaliforniens lebt, mit seinen unzähligen Spezialitätengeschäften.
»Mei Ling stört das nicht. Du bist schon viel zu lange in dieser
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