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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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einen Mietvertrag von Avis für den Peugeot. Sonst nichts, keine Kreditkarten, keine Fotos, keine Zettel mit aufgekritzelten Telefonnummern, keine Quittungen oder Abrisse von Eintrittskarten. Keine Hinweise auf einen nächsten Angehörigen. Martin bot sich an, und die Frau sagte: »Sie wussten nicht einmal seinen Namen«, schrieb aber trotzdem »Martin Canning« in das Formular.
    »Kirche von Schottland?«, fragte sie, und Martin sagte: »Er ist Engländer, schreiben Sie Kirche von England.« Er fragte sich, ob es eine Kirche von Wales gab. Er hatte nie von einer solchen gehört.
     
    Das Krankenhaus wirkte wie ein Bahnhof oder ein Flughafen, nicht wie ein Krankenhaus, die Leute schienen sich auf der Durchreise zu befinden und nicht aus irgendeinem zwingenden Grund hier zu sein. Es gab ein Café und einen Laden, gut sortiert wie ein kleiner Supermarkt. Doch es fanden sich keinerlei Anzeichen dafür, dass sich irgendwo Kranke aufhielten.
    Er setzte sich ins Wartezimmer. Er nahm an, dass er die Sache jetzt bis zum Ende durchstehen musste. Erst las er eine Ausgabe von
Historische Häuser,
dann eine drei Jahre alte Ausgabe von
Hello!
. Er erinnerte sich daran, irgendwo gelesen zu haben, dass Hepatitis-C-Erreger lange Zeit außerhalb des Körpers überlebten. Man konnte sie sich zuziehen, indem man irgendetwas berührte – einen Türgriff, eine Tasse, eine Zeitschrift. Die Zeitschriften waren älter als das Krankenhaus. Jemand musste sie in Schachteln verpackt und aus dem alten Royal am Lauriston Place hierhergeschafft haben. Martin war einmal dort in der Notaufnahme gewesen, als sich seine Mutter während einer ihrer seltenen Besuche bei ihm die Hand verbrüht hatte. Das war das Einzige, woran sie sich später erinnerte, nicht an die Fahrt zum Hopetoun House, wo sie einen schönen Spaziergang gemacht hatten, gefolgt von Nachmittagstee im Pompadour im Caledonian Hotel, nicht an den Besuch von Holyrood Palace, sondern nur, wie sie es geschafft hatte, sich Wasser aus dem Kessel über die Hand zu gießen.
Dein Kessel,
sagte sie, als wäre Martin höchstpersönlich für den Siedepunkt des Wassers verantwortlich.
    Im Wartezimmer war es gewesen wie in der Dritten Welt, schmutzig, mit alten Stühlen, die nach Urin rochen. Seine Mutter war hinter blassgrünen Vorhängen verschwunden, die mit getrockneten Blutflecken übersät waren. Jetzt wurde das alte Krankenhaus in Wohnungen umgewandelt, unter anderem. Martin fand es seltsam, dass Menschen leben wollten, wo andere gestorben waren und unter Schmerzen gelitten oder sich einfach zu Tränen gelangweilt hatten, während sie auf ambulante Behandlung warteten. Martin wohnte in einem viktorianischen Haus in Merchiston, wo früher vermutlich eine Wiese gewesen war. Er zog es vor, irgendwo zu leben, wo früher eine Wiese gewesen war, als in einem ehemaligen Operationssaal oder Leichenschauhaus. Aber das war den Leuten gleichgültig, in Edinburgh herrschte eine Gier nach Wohnraum, die nahezu barbarisch war. Erst in der vergangenen Woche hatte er in der Zeitung gelesen, dass eine Garage für hunderttausend Pfund verkauft worden war. Martin fragte sich, ob die Leute dort einziehen wollten.
    Er hatte sein Haus vor drei Jahren gekauft. Nachdem er seinen ersten Vertrag unterschrieben hatte und nach Edinburgh gezogen war, wohnte er zuerst in einer kleinen Wohnung nahe der Ferry Road und sparte für etwas Besseres. Er war ebenso obsessiv und verrückt gewesen wie alle anderen Wohnungssuchenden in der Stadt, hatte die Anzeigen studiert und am Donnerstagabend und Sonntagnachmittag in den Startblöcken gestanden für die Besichtigungen.
    In das Haus in Merchiston verliebte er sich, kaum dass er an einem nebligen Oktobertag durch die Tür getreten war, um es sich anzusehen. Die Räume schienen voller Geheimnisse und Schatten, und das schwindende Nachmittagslicht fiel matt durch die Fenster aus buntem Glas.
Opulent,
hatte er gedacht. Er sah vor sich, wie es einst gewesen sein musste, er hörte das Echo des Gelächters altmodischer Kinder, die Jungen trugen gestreifte Schulmützen, die Mädchen Kittelkleider und weiße Söckchen. Die Kinder waren Verschwörer, dachten sich vor dem Feuer im Spielzimmer lustige Streiche aus. Überall im Haus herrschte geschäftiges Treiben – ein Dienstmädchen wusch und schrubbte willig (ohne jeden Klassenhass) und half bisweilen mit den Kindern und bremste ihren Elan. Es gab einen Gärtner und eine Köchin, die altmodische Gerichte zubereitete (Räucherheringe,

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