Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
Trophäen ein. Das Mordopfer hatte jedenfalls auch lange Haare, dunkle. Und die waren abrasiert.«
Interessante Wortwahl, dachte Treeske: die arme, unschuldige Heidschnucke – das Mordopfer .
»Triebtäter? Ich glaube, Frau Klosa, Sie benutzen da einen falschen Terminus. Sagten Sie nicht gerade, Sie hätten sich seine Akte genau angesehen?«
Marion Klosa überhörte den Rüffel und reagierte nicht.
»Nicht alles, was schrecklich und grausam ist, ist auch krank«, fuhr Treeske Tiffin fort. »Manche Menschen sind einfach böse. Aber sie wissen dabei genau, was sie tun.«
Solche Worte aus dem Mund einer Psychologin fand Marion Klosa bemerkenswert. »Wozu dann all diese teuren Therapien?« fragte sie und fügte in Gedanken ketzerisch hinzu: Dann könnte sich der Steuerzahler doch Leute wie Sie sparen.
»Ich sagte, manche Menschen. Lukas Feller ist nicht in Therapie.« Weil es nichts nützen würde, dachte Treeske. Er würde nur alle an der Nase herumführen.
Die Kaffeemaschine gurgelte, was Treeske Tiffin zum Anlaß nahm, das Gespräch zu beenden.
»Danke für Ihre Auskünfte, Frau Klosa. Ich möchte in nächster Zeit über Feller auf dem laufenden gehalten werden: Wer ihn wann besucht sowie sämtliche besonderen Vorkommnisse.« Sie sah auf die Uhr. »Wo ist er jetzt?«
»Feller? Bei der Arbeit. In der Schlosserei.«
Marion war schon an der Tür.
»Bringen Sie ihn bitte nach der Arbeiterfreistunde zu mir.«
Dieses Mal gab es kein Entrinnen.
»Hallöchen, Frau Degen!«
Mathilde hatte den voluminösen Schatten ihrer Flurnachbarin schon auf der Treppe wahrgenommen. Sie schien auf sie zu warten, jedenfalls winkte sie mit einem braunen Umschlag.
»Guten Tag, Frau Bolenda.«
»Na, da haben Sie sich jetzt um ein Härchen verpaßt!«
»Ich habe mich verpaßt?«
»Nein. Sie und Ihre Mutter sich. Aber bevor ich es vergesse: Nachträglich herzlichen Glühstrumpf zum Geburtstag!«
Mathilde kämpfte einen Würgereiz nieder, indem sie mit ihren Händen den Henkel des Einkaufskorbes umklammerte, anstatt sie um Frau Bolendas Hals zu legen, wozu sie große Lust hatte.
»Danke. Wann war meine Mutter denn hier?«
»Vor etwa zehn Minuten. Jetzt ist sie weg.«
»Das sehe ich.«
»Knapp daneben ist auch vorbei. Da kann man nichts machen.«
Mathilde stach der Hafer: »Genau. Tel Aviv, wie der Franzose sagt.«
Frau Bolenda blinzelte irritiert, dann zog sich ein verstehendes Lächeln über ihr Gesicht.
»Tel Aviv«, kicherte sie. »Das ist gut.«
Mathilde richtete ihren Blick nun demonstrativ auf den DIN-A4-Umschlag in Frau Bolendas Händen.
»Ach ja, ich soll Ihnen das da geben von Ihrer Frau Mama.«
»Danke.« Mathilde steckte den Umschlag in den Korb hinter eine Stange Lauch und nahm die Schlüssel aus der Manteltasche.
»Es sei wichtig, hat sie gesagt. Eine flotte Frau, Ihre Mutter, muß man schon sagen.«
Mathilde atmete auf. Anscheinend war Franziska heute gepflegter anzusehen gewesen als gestern. Sie sperrte ihre Tür auf.
»Danke sehr, Frau Bolenda.«
»Alles klärchen!«
»Wiedersehen«, preßte Mathilde hervor und schwor sich: Wenn sie jetzt »Wirsing« sagt, tu ich es.
»Ciao Cescu!« zwitscherte Frau Bolenda und verschwand hinter ihrer Tür, was ihr das Leben rettete.
Treeske Tiffin kam vom Mittagessen zurück und steckte sich eine Zigarette an. Als Diplompsychologin hatte sie die vergangenen sieben Jahre in verschiedenen Justizvollzugsanstalten verbracht. Täglich versuchte sie, Mörder und Totschläger in Einzel- und Gruppengesprächen und beim Sozialen Training davon zu überzeugen, daß es Alternativen zur Gewalt gab. Was nicht immer gelang. Warum sie damals diese Richtung eingeschlagen und es nicht vorgezogen hatte, sich beispielsweise um verirrte Kinderseelen zu kümmern, erschien ihr heute nicht mehr nachvollziehbar. Als vor drei Monaten eine Stelle in der JVA Hannover ausgeschrieben worden war, die Aussicht auf eine baldige Verbeamtung bot, hatte sie zugegriffen. Trotz einiger Bedenken.
Vor dem Gespräch mit der Vollzugsbeamtin Klosa hatte sich Treeske Tiffin Lukas Fellers Akte besorgt. Da er nicht in therapeutischer Behandlung war, und noch lange keine vorzeitige Entlassung oder Vollzugslockerungen zur Debatte standen, hatte ihre Abteilung bisher wenig mit ihm zu tun gehabt. Das Gespräch zur Vollzugsplanung, das vom Gesetzgeber alle sechs Monate vorgeschrieben war, lag vier Monate zurück. Sie schlug die Akte auf.
Lukas Feller, geboren am 9. Mai 1959 in Celle, Niedersachsen … In der
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