Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)
erkannte, was sie mit diesen Worten in ihm auslöste, trat sie einen Schritt auf ihn zu, legte ihre Hände auf seine Schultern und ihr Gesicht gegen seines.
„Take it easy, old chap“, sagte sie leise an seiner Wange.
„Es gibt da einen Spruch, den mir kürzlich ein amerikanischer Freund gesagt hat. Möchtest du ihn hören?“
Er konnte nur nicken.
Sie flüsterte: „Weep if you must. Parting is hell. But life goes on. So sing as well.“
Und dann trat sie zurück, drehte sich um und ging. Ehe die automatischen Glastüren sich hinter ihr schlossen, hob sie noch einmal die Hand, um Julian zuzuwinken, ohne sich nach ihm umzudrehen, und dann ging sie unter in der Kälte dieses Novemberabends, wurde verschluckt von Dunkelheit und Regen, sodass es sich anfühlte, als wäre sie überhaupt nicht da gewesen.
Julian saß später lange in seinem Auto und dachte, ja, Jessica hatte damals geglaubt, es wäre Liebe. Eine wie sie würde nie aufhören, daran zu glauben, dass es dieses Gefühl gab, von dem alle immerzu redeten, allerdings nur die wenigsten wussten, wie es sich anfühlte.
Dennoch war zwischen Jessica und ihm alles ganz anders gekommen. Er hatte das, was sie für ihn empfand, nie erwidern können. Und es war seine Schuld, dass sie plötzlich am Ende eines Weges standen, weil er ihr nie die Wahrheit über sich und das, was er für sie empfand, gesagt hatte.
Er war feige gewesen.
Ein Feigling, so wie sein Vater, der Sarah die Wahrheit über sich und seinen Seitensprung mit Kitty Cornelius schuldig geblieben war.
Höchstwahrscheinlich waren alle Männer Feiglinge, sobald es um Liebe ging, dachte Julian verächtlich.
Hast du wirklich geglaubt, es war Liebe? hatte die Kassiererin vorhin gefragt, ohne zu ahnen, dass der, über den sie sich so vehement ausließ, nur ein paar Schritte entfernt stand.
Ja, hatte Jessica gesagt.
Und sie würde daran festhalten.
So gut kannte Julian sie trotz aller Veränderungen immer noch.
Und wenn er sie gefragt hätte, warum und woher sie die Kraft nahm, um ihren Glauben an das größte aller menschlichen Gefühle nicht zu verlieren, hätte sie wahrscheinlich schlicht geantwortet:
„Ich weiß es nicht.“
Er dachte an die Worte, die sie ihm zum Abschied mit auf seinen Weg gegeben hatte.
„Take it easy, old chap.”
Nimm´s nicht so schwer, alter Kumpel…
Und:
„Weep if you must…”
Weine, wenn dir danach zumute ist…
Julian war danach zumute.
Er weinte.
25. Kapitel
D ie Einladung kam einen Tag nach dem 1. Advent.
Das dunkelblaue Kuvert lag auf Roberts Schreibtisch genau in der Mitte, und das neue Firmenlogo, das immer ein wenig wirkte wie ein knallroter Pilz, was es natürlich nicht war, sondern etwas gänzlich anderes, leuchtete Robert schon entgegen, als er noch in der offenen Tür stand.
Er hielt einen Moment lang inne, zögerte, sein eigenes Büro zu betreten.
„Ach ja, die Einladung zur Geburtstagsfeier des Chefs“, sagte ein Kollege, der Robert kurz über die Schulter sah. „Hier entgeht eben keiner seinem Schicksal. Du kommst doch auch?“
„Keine Ahnung“, sagte Robert.
Er hatte wirklich keine Ahnung. Am liebsten hätte er die Einladung ignoriert. Die Geburtstagsfeste, zu der Paul Cornelius alljährlich seine Angestellten einlud, waren Roberts Sache nie gewesen: Zu viele Reden, in denen jeder jeden lobte. Besonders komisch wurde es, wenn der Chef selbst seine Angestellten in den höchsten Tönen pries – wofür eigentlich, da doch alle in dieser Firma nur ihre Arbeit taten? – zu lautes, wirres Geschwätz, zuviel Alkohol und deshalb auch immer sehr schnell schrille Fröhlichkeit und plumpe Vertraulichkeit.
Zweimal hatte Robert schon an Pauls Geburtstagsparty teilnehmen müssen, aber in diesem Jahr kam ihm das alles noch sinnloser vor als bisher. Daran war vor allem ein kleiner Satz schuld, der wie selbstverständlich und beinahe unauffällig im Text untergebracht war und auf den Cornelius, wie jeder im Haus wusste, großen Wert legte.
Jedes Jahr stand dort nämlich:
„Ich würde mich freuen, auch Ihre/n Lebenspartner/in begrüßen zu dürfen. Herzlich: Paul Cornelius.“
Als Robert nun wieder las, was er schon aus den beiden Jahren zuvor kannte, war sein erster Impuls, nach einer Erklärung zu suchen, um sich vor der Feier zu retten.
Doch alles, was ihm an Entschuldigungen einfiel, hörte sich immer nur nach banaler Ausrede an.
„Mein Gott, wo ist denn da das Problem?“ fragte Julian, als sein Vater ihm während des gemeinsamen
Weitere Kostenlose Bücher