Liebesmaerchen in New York
tun, als ihn mit einem kleinen Jungen zu verbringen.«
»Wieso? Ich hatte ohnehin vor, euch heute Abend nicht allein ausgehen zu lassen, und auf diese Weise ist es billiger. Red isst mit Sicherheit nicht einmal die Hälfte seiner Portion, und ich kriege den Rest.«
Sie lachte. Radley nahm Anlauf und sprang zwischen Mitch und Hester auf das Sofa. Während er sich gemütlich zurechtkuschelte, seufzte er zufrieden. »Das ist besser als Ausgehen. Viel besser.«
Er hat recht, dachte Hester, lehnte sich entspannt zurück und ließ sich von Indiana Jones’ Abenteuern gefangen nehmen. Vor langer Zeit einmal hatte sie geglaubt, auch das wirkliche Leben könne spannend, romantisch und atemberaubend schön sein. Aber die Umstände hatten sie eines anderen belehrt. Dennoch war ihre Vorliebe für fantasievolle Filme geblieben, da sie ihr wenigstens für ein paar Stunden die Möglichkeit gaben, der Wirklichkeit und den damit verbundenen Sorgen zu entfliehen.
Mit hochroten Wangen wechselte Red nach dem ersten Film die Bänder, doch schon bald nach Gene Kellys berühmtem Tanz im Regen fielen ihm die Augen zu.
»Einfach toll.« Mitch flüsterte, weil Radley inzwischen mit dem Kopf an seiner Schulter ruhte.
»Unübertroffen. Ich bekomme von diesem Film nie genug. Als ich ein kleines Mädchen war, haben wir ihn uns, sooft er im Fernsehen gegeben wurde, angesehen. Mein Vater ist ein richtiger Kinofanatiker. Man braucht ihm nur irgendeinen Film zu nennen, und schon zählt er sämtliche Schauspieler auf, die darin mitgespielt haben. Seine erste Liebe war allerdings das Musical.«
Mitch schwieg. An Hesters Stimme, an der Art, wie ihre Gesichtszüge sich veränderten, hatte er erkannt, dass sie ein sehr enges Verhältnis zu ihrer Familie haben musste. Dass dies bei ihm selbst nicht der Fall war, hatte er immer schon bedauert. Sein Vater hatte nie die Vorliebe seines Sohnes für das Fantastische geteilt, und der Sohn konnte seines Vaters Hingabe fürs Geschäft nicht begreifen. Obgleich er nie auf die Idee gekommen wäre, seine Kindheit als einsam zu bezeichnen, hatte er doch die Wärme und die Zuneigung vermisst, die so klar aus Hesters Stimme herauszuhören waren, wenn sie von ihrem Vater sprach.
»Wohnen deine Eltern hier in der Stadt?«, fragte er schließlich.
»Hier? Nein.« Hester lachte bei der Vorstellung, ihre Eltern müssten sich mit dem Leben in New York zurechtfinden. »Nein. Ich bin in Rochester aufgewachsen, aber vor etwa zehn Jahren zogen meine Eltern nach Fort Worth, wo ein sonnigeres Klima herrscht. Dad arbeitet immer noch bei einer Bank, und meine Mutter hat einen Teilzeitjob in einem Buchgeschäft. Wir waren alle sehr überrascht, als sie sich den Job besorgte. Ich glaube, wir hatten angenommen, außer Kuchenbacken und Hemdenbügeln könnte sie nichts.«
»Wir? Wie viele sind das?«
Zu Hesters Bedauern ging in diesem Augenblick der Film zu Ende. Sie konnte sich kaum erinnern, in den letzten Jahren einen so gemütlichen Abend verbracht zu haben. »Ich habe einen Bruder und eine Schwester. Ich bin die Älteste. Luke wohnt in Rochester – seine Frau erwartet ein Baby –, Julia lebt in Atlanta. Sie ist Discjockey.«
»Du willst mich wohl auf den Arm nehmen?«
»Absolut nicht.« Hester lachte bei dem Gedanken an ihre Schwester. »Ich würde sie gern einmal mit Red besuchen.«
»Vermisst du deine Geschwister?«
»Es macht mich nur ein bisschen traurig, wenn ich daran denke, dass wir nun alle so weit auseinanderwohnen. Für Red wäre es viel netter, eine Familie in der Nähe zu haben.«
»Und für Hester?«
Sie blickte ihn an und wunderte sich, wie natürlich es wirkte, dass Red an Mitchs Schulter schlief. »Ich habe Radley.«
»Und das ist genug?«
»Mehr als das.« Sie lächelte, schwang ihre Beine vom Sofa und stand auf. »Und da wir gerade von ihm sprechen … es ist höchste Zeit, dass er ins Bett kommt.«
Mitch hob den Jungen auf und legte ihn sich über die Schulter. »Ich trage ihn.«
»Oh, das kann ich schon. Ich bin daran gewöhnt.«
»Ich habe ihn aber schon. Zeig mir nur, wohin ich ihn tragen soll.«
Hester führte Mitch in Reds Zimmer, wo Mitch ihn aufs Bett legte. Dann half er Hester, den Jungen auszuziehen. »Bekommt er einen Schlafanzug an?«
Hester ging an Radleys Schrank und holte eines seiner Lieblingskleidungsstücke heraus, einen Schlafanzug mit aufgedrucktem Commander Zark.
Mitch grinste. »Er hat einen guten Geschmack. Hab mich immer schon geärgert, dass es die nicht in meiner
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