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Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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denn mit ihr telefoniert hatte, rief sie Katharina an, um etwas über Georgs Verbleib zu erfahren. Eine junge Buchhändlerin war am Telefon, sie erklärte ihr, wer sie sei und was sie umtreibe, die junge Frau sagte aber nur, dass Katharina nicht in der Buchhandlung und nur über das Handy zu erreichen sei. Sie gab ihr Katharinas Handy-Nummer, und dann wählte sie diese Nummer, und dann ereignete es sich …, das schlimmste Gespräch ihres Lebens, in dessen Verlauf sie erfahren musste, dass Georg kurz vor dem Abflug nach London an einem Herzinfarkt gestorben war.

    Katharina führte das Gespräch im Krankenhaus und verband sie am Ende mit Georgs Arzt, beinahe sprachlos hörte sie mit an, dass ihr Vater sehr krank gewesen sei, wohl aber mit niemandem über diese Krankheit gesprochen habe. Zum Schluss des Telefonats meldete sich noch einmal Katharina, »wir müssen uns sehen«, sagte sie damals, und einen Tag später trafen sie sich zum ersten Mal in Katharinas Buchhandlung.

    Ach, Georg – niemand wusste, dass er nach London fliegen wollte, um sie dort zu besuchen, selbst Katharina gegenüber schwindelte er ein wenig und behauptete, er habe in London zu tun und besuche dort einige befreundete Künstler. In Wahrheit aber wollte er sie besuchen und an der Eröffnung ihrer Ausstellung in einer kleinen Londoner Galerie teilnehmen – er freute sich darauf sehr, und er war so unglaublich stolz, dass sie inzwischen mit ihren Bildern und Inszenierungen auf dem Kunstmarkt Erfolg hatte.

    »Meine schöne, gehorsame Tochter« – so nannte er sie oft, er war einfach nicht davon abzubringen, sich um sie zu kümmern und noch jedes kleinste Detail mit ihr zu besprechen. Eine so enge Bindung verwöhnte sie, viel Kraft zog sie daraus, aber sie fragte sich auch oft, ob das alles nicht zu viel sei und nicht letztlich in eine gefährliche Abhängigkeit führe. Manchmal sprachen sie darüber, aber Georg wies ihre Bedenken immer wieder lachend von sich. »Ach was, so ein Unsinn!« – mehr hatte er dazu nicht zu sagen und wartete mit einer neuen Überraschung auf: einem Katalog, einer CD, einer Karte für ein Konzert.

    Und sie?! Sie ließ es sich gefallen, denn natürlich schmeichelte es ihr sehr, dass er sich seit den Kindertagen so um sie bemühte und damit auch nicht aufhörte, als sie längst erwachsen war. Insgeheim redete sie sich damit heraus, dass er sich ja nicht in ihr Leben einmische und dass sie jederzeit tun und lassen dürfe, was sie wolle.

    Und – ja, auch das stimmte. Sie durfte immer tun und lassen, was sie sich vornahm, niemals machte er hier seinen Einfluss geltend, selbst ihren Freunden gegenüber war er immer gleich freundlich und offen und zeigte nicht die geringste Spur irgendeiner Eifersucht.

    Nach seinem Tod machte sie sich Vorwürfe, vielleicht hatte er sich zu sehr mit ihr und ihrem Leben beschäftigt, vielleicht hatte ihn das alles überfordert, so wie ihn die eilige Abreise nach London anscheinend überanstrengt hatte.

    Vor allem aber ertrug sie nicht, dass sein Tod ihre enge Verbindung so unvermutet und abrupt unterbrach. Das Ende, an das sie dann und wann durchaus mit Sorge und wohl auch mit Angst gedacht hatte – sie hatte es sich ganz anders vorgestellt. Sie hatte sich ausgemalt, dass sie dieses Ende miterleben und ihn in seinen letzten Tagen begleiten würde, ja, sie hatte sich eingeredet, dass sein Tod für sie dadurch vielleicht erträglicher würde, dass sie sein Sterben mitbekäme.

    Georg fehlte ihr sehr, ja, mein Gott, er fehlte ihr wirklich sehr. Die Gespräche mit Katharina halfen ihr, über seinen
Tod hinwegzukommen, die große Lücke aber konnte auch Katharina nicht ausfüllen.

    Und wer hätte sie denn schon ausfüllen können? Jahrelang lebte sie nun allein, ohne einen festen Freund, ohne Begleitung, im Grunde traf sie sich nur mit Katharina regelmäßig. Sie war zu ihrer Vertrauten geworden, und diese Verbindung war schließlich noch enger als die zu ihrer eigenen Mutter. Von Henrike und ihren Geschwistern hörte sie kaum noch etwas. Sie begannen damit, Georgs Erbe untereinander aufzuteilen, ja, sie begannen mit den üblichen Erbstreitereien, an denen sie sich jedoch nicht beteiligte. Sie verzichtete auf einen Großteil ihres Erbes und bestand nur darauf, »Jules Archiv« zu erhalten, auch Katharina schlug ihr Erbe aus und überließ alles Henrike und den Geschwistern.

    Manche, die Katharina und sie in der Buchhandlung miteinander reden sahen, glaubten schließlich, es handle sich um

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