Liebeswut (Junge Liebe) (German Edition)
...
Dirk.
Als er am Haus der Martens ankam, taten ihm immer noch alle
Knochen weh. Doch das hatte ihn nicht daran gehindert, den
ganzen Weg vom Friedhof hierher zu laufen.
Er klingelte Sturm. Aber erst nach wenigen Minuten öffnete sich
die Tür. Dirk sah verändert aus. Mitgenommen, traurig und wie
um Jahre gealtert. Mit starren Blick sah er Neal an.
„Du?“ Mehr kam nicht aus ihm heraus. Sein Gesicht wurde noch
blasser. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn.
„Ja, ich!“, schrie Neal aufbrausend, doch seine Stimme senkte sich
augenblicklich. Er wollte nicht riskieren, dass Dirk wieder
handgreiflich wurde. Doch jener schien erstaunlich ruhig.
„Ich dachte ...“ Er verstummte und trat ein paar Schritte zurück.
„Dass ich tot bin?“ Neal vollendete den Satz mit einem
verbissenen Unterton.
„Aber das kann doch nicht sein!“ Dirk setzte sich, doch hörte er
nicht auf, seinen Freund wie einen Geist zu betrachten.
„Ich lebe, wie du siehst!“ Laut knallte die Tür hinter Neal zu.
„Aber sieh’ mich mal an! Was hast du mit mir gemacht?“ Er rang
mit den Tränen. „Du schubst mich die Treppe herunter und wirfst
mich dann auf den Friedhof? Bist du völlig durchgeknallt?“
Dirk antwortete nicht.
„Wie ein totes Vieh hast du mich weggeworfen. Wie die Katze
deines Nachbarn!“
Er schluckte die Tränen herunter und versuchte, gefasst zu
bleiben.
„Wieso hast du das getan? Was ist denn bloß los mit dir? Ich
erkenne dich ja gar nicht wieder.“
Es kam keine Antwort. Dirk starrte ins Leere.
„Was hast du denn?“, fuhr Neal fort. Er setzte sich zu seinem
Freund auf das Sofa, doch dieser sagte noch immer nichts. Er
rührte sich nicht, und sein Blick war ohne Aussage. Starr,
unantastbar.
„Du dachtest wirklich, ich sei tot?“ Neal schloss kurz die Augen,
wünschte, aus einem schrecklichen Traum zu erwachen.
„Du hast mich genommen, wie damals diese Katze. Du hast mich
zum Friedhof gebracht. Ich kann das einfach nicht glauben. Was
ist da bloß in dir vorgegangen? Du hättest den Arzt rufen
müssen!“
Dirk antwortete nicht. Regungslos saß er auf dem Sofa. Nicht
einmal seine Augen zuckten, selbst sein Atem war kaum zu hören.
„Weißt du eigentlich, was du getan hast?“ Neal wartete, doch
keine Reaktion löste sich. „Sag’ doch was, bitte. Wir können doch
darüber reden.“
Es war fast gespenstisch, wie still Dirk dort saß und sich nicht
rührte.
„Sag’ doch was!“ Neal versuchte es mit Nachdruck. „Sieh’ mich
wenigstens an!“ Er fasste seinem Freund an die Schulter, doch
auch das bewirkte nichts. Energisch fuchtelte er mit den Händen
vor Dirk herum, doch dessen Gesicht blieb starr. Es war, als sähe
er durch Neal hindurch.
Ein ungutes Gefühl stieg in Neal auf. Das Verhalten von Dirk
konnte er nicht mehr klar einordnen. Es machte ihm Angst.
Als er auf die Uhr sah, signalisierte es, dass es schon sehr spät
war, und Frau Martens längst wieder im Hause sein musste. Ohne
zu zögern, stieg Neal die Treppen in die erste Etage hinauf.
Erleichtert stellte er fest, dass Licht im Wohnzimmer brannte. Frau
Martens saß vor dem Fernseher. Zaghaft klopfte Neal an die
angelehnte Tür und trat näher. Frau Martens drehte sich um.
„Entschuldigen Sie, dass ich noch so spät störe“, fing er an.
„Das macht doch nichts.“ Dirks Mutter erhob sich. Doch ihr Blick
zeigte Entsetzen, als sie Neal näher betrachtete. „Wie siehst du
denn aus?“
Sie realisierte seine von Dreck beschmutzte Hose, seine
verdreckten Hände, sein blutiges Gesicht und sein abgehetztes
Äußeres.
„Was ist passiert?“
Neal winkte ab. Er wirkte aufgeregt. „Ich erzähle es Ihnen später.
Können Sie jetzt erst mal runter kommen zu Dirk? Irgendetwas
stimmt nicht mit ihm.“
Sofort wurde Frau Martens Gesicht blass und verstört.
„Was ist mit ihm?“
„Ich weiß es nicht!“ Neal verzog sein Gesicht. „Er sitzt nur da und
spricht nicht mehr. Er ist richtig apathisch!“
Frau Martens rannte besorgt in den Keller. Neal folgte. Als er zu
dem Sofa trat, saß sie schon neben ihrem Sohn, hatte zärtlich den
Arm um ihn gelegt. Ruhig sprach sie auf ihn ein.
„Was ist los? Hast du Kummer?“ Sie strich über seine Wange.
„Willst du es mir nicht sagen?“
Als ihr Sohn nicht antwortete, wandte sie sich an Neal. „Wie lange
geht das schon?“
„Eine Viertelstunde ungefähr.“
Frau Martens nickte. „Was ist denn vorgefallen?“, fragte sie
weiter. „Warum schweigt er? Und
Weitere Kostenlose Bücher