Lieblingsmomente: Roman
lasse alles auf mich zukommen.
Schnell mache ich mich frisch und setze mich dann an den Frühstückstisch, den Olivers Mama gedeckt hat. Das erkenne ich sofort. Oliver hätte nie daran gedacht, die Gabel links und das Messer rechts vom Teller zu positionieren. Auch die Untertassen lassen auf seine Mutter schließen, denn Oliver benutzt nie Untertassen. Aber spätestens die Blumen in der Mitte verraten sie. Ich lächle sie an und hoffe inständig, dass sie nicht denkt, ich hätte ihren Sohn mit einem anderen Mann betrogen, denn das habe ich nicht. Das würde ich nie. Sie binden mich in ein Gespräch ein, als wäre nichts gewesen. Sie fragen, wie es meinen Eltern geht, wann wir mal wieder alle zusammen essen gehen, was meine Arbeit macht und wie es um meine Gesundheit steht. Ich sitze da, lächle und frage mich langsam, ob die letzte Nacht und mein schrecklicher Auftritt eben wirklich passiert sind oder ob ich mir das alles nur eingebildet habe. Vielleicht war das alles nur ein verrückter Traum. Das Stechen in meinem Kopf und das leichte Schwindelgefühl erinnern mich aber sofort wieder daran, wo ich letzte Nacht war – und mit wem.
Oliver erzählt stolz von seinen Erfolgen, von den vielen Schulungen, die er inzwischen gibt, von den Urkunden und von der finanziellen Sicherheit, in der wir uns befinden. Ich höre zu, gebe an den passenden Stellen Antwort, lächle hier und da und warte einfach nur auf das Ende der Ruhe vor dem Sturm.
Gegen sechzehn Uhr erst verabschieden wir seine Eltern, nachdem wir lange auf dem Balkon die Sonne genossen haben. Langsam schließe ich die Tür, nachdem wir uns herzlich verabschiedet haben, und hole tief Luft. Gleich, das weiß ich, wird er mich fragen. Gleich muss ich mich ihm stellen. Gleich …
»Räumst du die Geschirrspülmaschine ein?«
Ich drehe mich zu ihm, Oliver sitzt auf der Couch und streckt die Beine von sich. Das muss Taktik sein. Er wiegt mich in Sicherheit.
»Sicher.«
Er schaltet den Fernseher ein und bleibt bei einer Comedy-Sendung hängen, die ich kenne und weder verstehe noch mag. Er lacht, wirkt unbekümmert.
Ich verschwinde in der Küche und lasse alles geschehen. So muss sich ein Wartender fühlen. Kurz vor dem Schuldspruch. In der Todeszelle oder so. Er weiß, das Verhängnis wird kommen, er weiß nur nicht so genau wann. Jede Minute kann Oliver durch die Tür kommen und mich zur Rede stellen. Dann werde ich auch ehrlich sein, alles beantworten und erklären.
So vergeht der ganze Tag. Ich warte, er lebt. Wir essen zusammen zu Abend, er redet über seine Woche und den Stress, der auf ihn zukommen wird. Er fragt, wo seine Hemden sind, welche er anziehen soll, ob ich ihm die Glückskrawatte heraussuchen kann und ob ich der Meinung bin, dass alles gut gehen wird. Ich zögere, sage dann aber, dass alles gut gehen wird – wobei ich keine Ahnung habe, von was er eigentlich gerade spricht. Ich bin vielmehr darauf konzentriert, worüber er nicht spricht. Wann wird mir der Prozess gemacht, den ich inzwischen herbeisehne, auch wenn ich ihn verlieren werde. Ich will nur noch, dass es vorbei ist.
Als wir im Bett liegen und der Tag sich nicht mehr wie wild in meinem Kopf dreht, möchte ich am liebsten heulen. Oliver hat mir einen Kuss auf die Lippen gegeben und dann das Licht ausgemacht. Seine Atmung neben mir klingt inzwischen regelmäßig und entspannt. Er schläft, und ich kann das Kullern der ersten Träne nicht verhindern, während ich mich auf die andere Seite drehe. Dann versuche ich, keinen Ton von mir zu geben, obwohl ich in mein Kissen heule, wie ein kleines Kind.
Und dann höre ich Tristans Stimme in meinem Kopf.
»Wahrheit.«
Den Sonntag verbringe ich im Bett und bin froh, dass Oliver am frühen Nachmittag mit Freunden ein Date zum Fußballspielen im Schlosspark hat. Ich kann ihm noch immer nicht in die Augen sehen. Er scheint es nicht zu bemerken, da er fröhlich pfeifend die Wohnung verlässt. Kaum ist er gegangen, steige ich aus dem Bett und schalte den Computer an. Außer Beccie hat sich niemand auf meinem Handy gemeldet. Ich muss wissen, wie es Tristan geht. Will er noch mit mir reden, nachdem ich ihn wie einen Schwerverbrecher stehen gelassen habe, obwohl er mir eine so wunderschöne Nacht geschenkt hat?
Sofort logge ich mich bei Facebook ein und falle förmlich über seine Pinnwand her. Keine Veränderung, nur eine Frage seines Freundes Björn, der sich immer mal wieder meldet und mit dem Tristan wohl am meisten Kontakt hat.
Ich entscheide
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