Lied aus der Vergangenheit
dannen gesegelt ein Jahr und ein Tag«, zitiert Adrian weiter. Und dann, so unvermittelt, dass er selbst überrascht ist: »Hast du je daran gedacht, Dad zu verlassen?«
Eine Pause. Seine Mutter gießt sich Milch in den Tee und stellt das Kännchen behutsam aufs Tablett. »Dein Vater war krank. Er brauchte mich. Ich wäre niemals gegangen.«
»Aber ich meine, hast du nicht …?«
Sie unterbricht ihn, als bestände diesbezüglich nicht der geringste Zweifel. »Nie.«
Sie trinken ihren Tee mehr oder weniger schweigend. Adrian versucht, sich zu entschuldigen, aber sie winkt unwirsch ab. Er bemerkt eine Starrheit, die über sie gekommen ist, und bedauert seine Unvorsichtigkeit; er hatte die neue Unbeschwertheit, die sie in ihrer beiderseitigen Gesellschaft gefunden hatten, genossen.
Während seine Mutter in der Küche aufräumt (sie will nichts davon wissen, dass er ihr hilft), steht Adrian draußen in einer neu erwachten Brise. Das Gras federt elastisch unter seinen Füßen, steht in Büscheln auf dem sandigen Boden. Sein Auge fällt auf eine der Assemblagen seiner Mutter: eine große stilisierte Schnecke, ihr Gehäuse eine Locke von Meeresschnecken in abnehmender Größe. Eine andere stellt eine Feder dar, deren Innen- und Außenfahnen von Dutzenden echter Federn gebildet werden. Ein mehrere Fuß langes Stück Treibholz, das aus einem bestimmten Blickwinkel heraus wie ein Tier aussieht. Auf dessen Rücken balanciert ein zweites Stück Holz, dunkle verknotete Gliedmaßen, ein Junge vielleicht, rittlings auf einem großen Bären. Adrian schaut hinaus zum Horizont. Auf der See bilden sich erste Schaumkronen. Während er sie betrachtet, steigt in Adrian das Gefühl auf, dass er am Rande eines folgenschweren Ereignisses steht, wie ein Seemann von vor mehreren Hundert Jahren vor Antritt einer weiten Reise. Er hat weder Angst, noch fühlt er sich wagemutig; das einzige Gefühl, das er – außer der Emotion, die in ihm aufwallt, wenn er an Mamakay denkt – empfindet, ist Scham: heiß und schwer wie Teer.
Seine Mutter gesellt sich zu ihm. »Was möchtest du zu Abend essen?«
»Wir haben doch gerade erst zu Mittag gegessen.«
»Ich weiß. Aber so was muss man planen, war schon immer so.« Sie lächelt.
Kinder hielten so vieles für selbstverständlich. Kinder hielten Glück für selbstverständlich.
»Warum gehen wir nicht irgendwo essen?«
»Ach nein. Das wäre doch Geldverschwendung.«
»Na, komm schon. Zier dich nicht Wo würdest du gern hin? Wo kann man hier in der Gegend gut essen?«
»Na ja, wenn du darauf bestehst. Wir könnten die Küste rauffahren. Da gibt’s ein Pub, wo ich schon ein paarmal war.«
»Prima.«
»Dann bestell ich uns einen Tisch.« Und sie geht ins Haus zurück.
Um fünf kommen sie vom Gartencenter zurück. Den Rest des Nachmittags bis zum frühen Abend arbeitet Adrian an der neuen Terrasse, verlegt auf dem alten Zementpatio ein Gitter von Balken, die er nach und nach einzeln mit der Wasserwaage ausrichtet. Er arbeitet mit bloßem Oberkörper. Die Sonne liegt ihm warm auf dem Rücken, eine gelegentliche Schweißträne läuft ihm in die Augen. Ihm wird bewusst, dass er ein Alter erreicht hat, in dem er manuelle Arbeit als etwas irgendwie Lohnendes empfindet. Besonders heute freut er sich über die Zuflucht, die sie bietet; sich auf seine Hände konzentrieren zu müssen zerrt ihn aus dem Strudel seiner Gedanken heraus.
Ein Ziel. Bevor sie essen gehen, wird er das Balkengitter fertig haben. Er richtet sich auf, um das bisher Geschaffte zu begutachten, spürt fast genüsslich den Schmerz und die Lockerung in den Wirbeln und Muskeln seines Rückens, wie er inmitten des Kreuzundquers von Balken steht, wie auf einem Floß, in der Nase den scharfen Duft von frischem Holz gemischt mit Salz.
Elias Cole hatte Babagaleh in den Wochen vor Adrians Abreise nicht geschickt. Adrian kam mehrmals am Zimmer des alten Mannes vorbei, nur um jedes Mal zu erfahren, er sei indisponiert. Er fragte sich, ob er ihn bei ihrem letzten Treffen nicht vielleicht zu sehr in die Enge getrieben hatte. Adrian verabschiedete sich von Mrs Mara und den übrigen Kollegen; Kai hatte er allerdings nicht ein einziges Mal gesehen. Kai mied ihn, da war Adrian sich sicher, und er wusste, dass man von ihm umgekehrt das Gleiche sagen konnte. Er war sich über den Grund seines Verhaltens, über das er vorsichtshalber nicht weiter nachgedacht hatte, selbst nicht ganz im Klaren. Er, Adrian, ist an sich kein eifersüchtiger Mensch,
Weitere Kostenlose Bücher