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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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durchgehen würde. Saffia lehnte sich hinüber und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Und nach dem Grinsen zu urteilen, das auf Vanessas Gesicht erschien, möchte ich annehmen, dass Saffia ihr zu der Geschicklichkeit gratulierte, mit der sie uns den Tisch gesichert hatte.
    Wir bestellten Drinks. Saffia verlangte nach einem Gingerale. Ich redete ihr zu, einen richtigen Drink zu nehmen. Sie schüttelte den Kopf. Ich sagte dem Mann, er solle ihr einen Rum mit Cola bringen, für mich einen Whisky. Saffia bestellte für Julius, der noch immer nicht aufgetaucht war, ein Guinness. Ich saß mit dem Rücken zum Lokal, zur Tanzfläche. Der Raum pulsierte vor Schall. Unmöglich, sich bei dem Lärm zu unterhalten. Offenbar unberührt, lehnte sich Saffia vor, lächelte, beobachtete die Tänzer hinter meinem Kopf.
    Schon kam der Kellner mit unseren Getränken. Irgendwas Scharlachrotes und Klebriges für Vanessa, Importware und deswegen doppelt so teuer. Ich beobachtete Saffia, wie sie an ihrem Glas nippte, den Kopf dabei hinunterbeugte. Dann lehnte sie sich zurück, bemerkte meinen Blick und lächelte.
    »Wie ist es?«
    Ja, nickte sie und fing an zu summen, bewegte den Kopf im Takt der Musik. »Julius sagt, ich habe keinen Sinn für Alkohol. Das stimmt. Anders als er. Als wir Studenten waren, habe ich sie am Ende des Abends immer alle heimgefahren. Ich habe mich nie richtig daran gewöhnt. Jetzt bin ich eben die Fahrerin.«
    Zumindest, glaube ich, war es mehr oder weniger das, was sie sagte; was ich mitbekam, waren von Bass-Beats untermalte Satzfetzen. »Sie haben zusammen studiert?«
    Sie nickte.
    »Ingenieurwissenschaften?«
    Sie hielt sich eine Hand ans Ohr, damit ich es wiederholte. Sie lehnte sich lachend zurück und schüttelte den Kopf. Ich fühlte mich wie ein Idiot.
    »Botanik«, sagte sie.
    »Blumen?«
    »Na ja, Pflanzen eigentlich. Pflanzenfamilien, Bodenarten. So was eben.« Ihre Augen schweiften wieder ab, über meine Schulter. Schaute sie die Tänzer an, oder hielt sie nach Julius Ausschau? Ihre Hände lagen, die Finger ineinander verschränkt, vor ihr auf dem Tisch. Mit dem Nagel ihres Zeigefingers begann sie, einen imaginären Kreis in die Luft zu zeichnen. Ich sah sie an, und unsere Blicke begegneten sich, jetzt zum zweiten Mal. Ich sah ihr so lange, wie ich es wagte, in die Augen. Sie lächelte und erwiderte meinen Blick, und dann sah sie weg. Einen Moment lang bekam ich keine Luft. Ich betrachtete ihr Profil und trank einen Schluck aus meinem Glas. Aus einer anderen Richtung spürte ich Vanessas sengenden Blick. Ich kehrte ihr mit einer Drehung meines Hockers den Rücken zu und betrachtete die Tanzenden.
    Und so waren die Strömungen zwischen uns also, als Julius an den Tisch kam, verständlicherweise geringfügig verändert.
    Vanessa fing natürlich an, mit Julius zu flirten. Berührte seinen Unterarm. Flüsterte ihm ins Ohr, wackelte auf der Bank im Takt der Musik. Julius ging bis zu einem gewissen Grad darauf ein. Die Schallplatte wechselte, Julius und Saffia standen auf, um zu tanzen, und ich bat, seinem Beispiel folgend, Vanessa um das Vergnügen. Ich trug die Aufforderung mit entsprechender Höflichkeit vor, half ihr beim Aufstehen, und das besänftigte sie etwas. Wir folgten den beiden auf die überfüllte Tanzfläche.
    Später schlenderten wir auf die Terrasse, schlängelten uns zwischen Tischen hindurch, an denen sich Leute, ihre Gesichter unter dem klaren Mond glühend, von der Musik erholten. Julius schien eine ganze Menge Leute zu kennen – zumindest kannten sie ihn. Er war die Sorte Mensch, die man hierzulande als »Leben und Seele der Party« bezeichnet. Das Leben und die Seele. Leben und Seele, ohne welche wir Übrigen insgesamt nicht mehr als eine leere Hülle darstellten. Vanessa hatte jemanden gefunden, eine junge Frau ihres Alters in einem schimmernden schwarzen Kleid, und sie blieben ein Stück von uns entfernt stehen und flüsterten hinter vorgehaltenen Händen.
    Saffia und ich waren allein.
    Ein Blinder saß mit dem Rücken an der Wand. Sie sagte: »Schauen Sie sich an, wie er lächelt. Was glauben Sie, warum er so lächelt?«
    »Wegen der Musik?«, erwiderte ich.
    »Ja, vielleicht.«
    Wir betrachteten beide den Blinden. Er saß da, ein strahlendes Lächeln im nach oben gewandten Gesicht. Er klopfte nicht mit den Füßen, schlug auch nicht mit der Hand den Takt. Er lächelte einfach.
    Saffia sagte: »Aber ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie oft Blinde lächeln? Oder auch nicht. Wie sie

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