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Lied ohne Worte: Roman (German Edition)

Lied ohne Worte: Roman (German Edition)

Titel: Lied ohne Worte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Tolstaja
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beschreiben. In kleinen Abschnitten; ich überdenke alles immer wieder, dann ergibt sich eines aus dem anderen und fügt sich zusammen. Man muss lange studiert haben und braucht musikalische Bildung, um zu komponieren. Auf die Inspiration zu vertrauen ist ganz und gar sinnlos.»
    «Nun, ich hingegen denke, dass die musikalische Bildung die Melodie zerstört hat. In der neuen Musik ist alle Aufmerksamkeit auf die Harmonie gerichtet. Wie viel besser wäre doch ein verständlicher Ausdruck einfacher Gefühle in der Melodie.»
    «Im Gegenteil, das wäre nicht gut, sondern langweilig.»
    «Ist es denn nicht langweilig, dass die Empfindsamkeit ganz aus dem Leben und aus der Kunst verschwunden ist? Alles ist so rational geworden.»
    «Nein, alles ist viel vergeistigter geworden, und dies ist gut. Natürlich ist das bei unbegabten Komponisten uninteressant, bei begabten aber ist der Geist dieser musikalischen Philosophie spürbar, und deshalb reizen die neuen Werke nicht die Nerven, sondern sprechen die vernunftbegabte Seite des Menschen an.»
    «So also erklären Sie die neue Musik. Das klingt überzeugend. Dann spielen Sie doch etwas Vergeistigtes für mich…»
    «Es ist zu heiß, später; ich muss nachdenken und werde etwas Passendes auswählen.»
    Kurlinski kehrte mit dem Notenpapier zurück, doch Iwan Iljitsch begann nicht zu schreiben. Stattdessen beschloss man, zu dritt spazieren zu gehen, um bei der Heuernte zuzusehen. Auch der kleine Aljoscha sollte sie begleiten. Sascha setzte einen großen Strohhut auf, und sie schlenderten hinunter zum Fluss, wo auf einer großen Auenwiese eine bunte Gruppe von Bauersfrauen Heu schnitt. Der herrliche Geruch von trockenem Gras begrüßte die Spaziergänger. Aljoscha warf sich in einen Heuhaufen und vergrub sich fröhlich lachend darin.
    «Wolken ziehen auf! Das ganze Heu wird verderben, wenn es wieder zu regnen beginnt», sagte Sascha.
    «Aber es gehört doch nicht Ihnen», erwiderte Iwan Iljitsch erstaunt.
    «Ja, und? Ist das denn nicht ganz gleich? Mir bedeutet das Eigentum nichts, die Sache an sich interessiert mich. Bei uns auf dem Gut macht es meinen Mann stets wütend, wenn Diebstähle entdeckt werden; die hemmungslose Einstellung der einfachen Leute zu allem erbost ihn. Mir aber ist es um den schönen Apfelbaum leid, wenn die Bauernjungen beim Äpfelstehlen Äste abbrechen; leid ist es mir um den dicht stehenden Roggen, den das Vieh, von den Bauern unbeaufsichtigt aus dem Stall gelassen, niedertrampelt; leid ist es mir um die alte Eiche oder die alte Birke, die gefällt wird, oder um die junge Tanne, die auf der Schonung ausgerissen wird. Was kümmert es mich, ob wir deshalb ärmer werden – denn wer es nimmt, der braucht es nötiger. Die Zerstörung an sich ist es, die ich verabscheue.»
    Iwan Iljitsch blickte Sascha aufmerksam an und blinzelte.«Sie ist ganz und gar nicht so wie andere», dachte er,«aber was soll’s, was geht sie mich an!»Spöttisch bemerkte er dann:«Das bedeutet, wenn ich jetzt hinfiele und mir den Arm bräche oder gar stürbe, täte es Ihnen leid um die Beethoven-Sonaten oder die Polonaisen von Chopin; um mich, der ich sie ausführe, wäre es jedoch nicht schade, denn Ihnen geht es um die ‹Sache›.»
    Sascha dachte verwirrt einen Augenblick nach.«Ich denke, am meisten täte es mir tatsächlich leid um Sie als Musiker, und zwar deshalb, da Sie mir mit Ihrer Musik so viel Glück bereitet haben, aber auch, da etwas Gutes, Begabtes vor der Zeit verlorengeht und nicht mehr von Nutzen sein kann.»
    «Das bedeutet, es täte Ihnen um niemanden persönlich, als Menschen, leid?»
    «Ich glaube, nur um Aljoscha.»
    «Das heißt um Sie selbst», sagte scherzend Iwan Iljitsch.
    Sascha erwiderte nichts; nachdenklich ging sie zu den arbeitenden Bauersfrauen hinüber. Wenn sie den Menschen Iwan Iljitsch zu lieben begänne, kam ihr in den Sinn, so würde dies das Ende ihrer reinen Hinneigung zu seiner Kunst bedeuten, und dies wäre Frevel.
    «Was ist mit deinem Mischka?», fragte Sascha eine junge Frau mit klaren, blauen Augen, die ein rotes Kopftuch von ihrer schweißbedeckten Stirn streifte und ihr seidiges, helles Haar enthüllte.
    «Gott sei es gedankt, mit Ihren Tropfen ging es ihm schnell besser. Vielen Dank, liebe gnädige Frau.»
    «Ach, da bin ich aber froh. Gib mir die Sense. »Sascha trat in die Reihe der Frauen und mähte gekonnt und mit leichter Hand. Wie oft hatte sie dies in den heiteren Sommern ihrer Kindheit auf dem Gut der Mutter mit den

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