Lila Black 02 - Unter Strom
Schrei eines Betrunkenen.
Er beschloss, Calliope Jones einen Besuch abzustatten.
Calliope war eine Kantnerin oder Gestadenschreiterin, wie die Feen sie nannten, jemand, der in der Lage war, die Grenzgebiete der Welten zu durchwandern. Sogar unter den Gestadenschreitern war sie ungewöhnlich, denn Calliope war mit diesem Talent ausgestattet und nicht geboren worden. Sie hatte ihr Leben wie Lila begonnen, unwissend und menschlich. Aber im Gegensatz zu Lila war Calliopes Erschaffung ein Unfall gewesen, und soweit er wusste, war sie der einzige Mensch, der jemals einen der Anderen gesehen hatte. Darum war sie heute gleich aus zwei Gründen ein lohnendes Ziel, und er fühlte sich gut bei diesem Gedanken, also ging er zu ihr.
Teazles weißer Leib war einfach zu verfolgen, bis er mitten in der Luft über einem breiten Kanal verschwand, der zwischen dem Festland und den vielen Inseln und Sandbänken der Bathshebat-Gewässer lag. Im selben Moment wurde er auch für die Wärmesensoren und das Radar unsichtbar. Das, was er verfolgte, floh weiter, ein blinkender Punkt in ihrer Kl-Sicht, aber dann krümmte es sich ohne erkennbaren Grund zusammen und stürzte in das Wasser hinab. Es gab ein weißes Aufspritzen von Gischt, wo es aufschlug, und einige Sekunden später zeigte sich ein Körper, der auf den Wellen tanzte.
Lila verlangsamte ihren Sturzflug. Wegen der Geschwindigkeit des Fluges und ihrer Nacktheit war sie völlig durchgefroren, und auch wenn viele Dämonen wenig oder nichts trugen, fühlte sie sich unwohl und verletzlich. Ohne nachzudenken, aktivierte sie den Verteidigungsmodus. Unter ihr sah sie die von Teazle verfolgte Person in ein silbernes Netz gehüllt, das magische Funken abgab. Sie hatte sich immer noch nicht an Magie gewöhnt. Ihre menschlichen Sinne erlaubten es ihr nicht, herauszufinden, ob so ein verzaubertes Ding ihr freundlich oder feindlich gesonnen war, und deshalb wollte sie es nicht berühren.
Die gefangene Person wand sich ohne Erfolg hin und her und wurde dann ruhiger, als sie ihren Kopf über Wasser bekam. Also muss sie zumindest atmen, dachte Lila und sah sich nach einem Hinweis auf den Dämon um.
Heißer, feuchter Atem schlug sich in ihrem Nacken nieder. Sie scannte – scheinbar nichts da, aber in dem Moment, wo Tath flüsterte:
Chamäleon …
… war sie bereits zum gleichen Schluss gelangt und bewegte sich nicht.
Nun konnte sie verstehen, warum Teazle einer der Tödlichsten seiner Art war – er war sogar mit technischer Zielerfassung und wissenschaftlichen Methoden nicht zu orten und besaß eine unspezifische, nebulöse weiße Kraft. Wenn er sie hätte umbringen wollen, wäre sie bereits tot. Statt sich also die Mühe zu machen, Angst zu empfinden, fragte sie: »Wer ist das?«, und zeigte hinunter ins Wasser. Ihre Düsen fauchten leise und verwandelten die Stelle neben dem dahintreibenden Gefangenen in weißen Nebel und Dampf.
»Dein Gefangener«, kam die leise Antwort. »Deine Regeln. Ich überlasse es dir, was du mit ihm machst.« Er zögerte, dann sagte er: »Ich bitte dich nur, dass du es um meiner Mutter willen auf der Party tust, wenn du ihn wegen dieser Beleidigung umbringen willst. Es würde sie sehr glücklich machen.«
Lila holte automatisch Luft, um ihre Meinung zu einer solchen Idee kundzutun, aber da ertönte ein Knall wie von einem einschlagenden Blitz, nur ohne Licht, und sie wusste, dass sich Teazle entmaterialisiert hatte.
Pathetischer, verabscheuungswürdiger Barbarismus, sagte Tath mit aufrichtiger Abscheu. Widerliche Auswüchse intoleranter Dummheit! Sein plötzlicher Wutausbruch gegen die Dämonenwelt und alles, was sie repräsentierte, fühlte sich heiß und Furcht erregend in ihrer Brust an. Für einen Augenblick erzitterte sie unter dem Ansturm. Dann war es auch schon wieder vorbei. Tath riss sich sofort wieder zusammen und schrumpfte, bis er beinahe unsichtbar wurde, zu einem nachklingenden Gefühl der Verachtung.
»Er teleportiert sich«, sagte sie laut zu sich selbst und war darüber sehr erschrocken.
Aus dem Wasser unter ihr erklangen erneutes Platschen und laute Atemzüge. Lila fuhr ein dünnes Seil aus ihrem rechten Unterarm aus und beugte sich zu ihrem Unterschenkel hinunter, wo in einem kleinen Container einige Metallstangen steckten. Sie nahm eine heraus und bog sie zu einem Haken, den sie sorgfältig an dem Seil festknotete. Dann brachte sie sich in eine Position, in der sie das Netz gut fassen konnte, achtete dabei aber auf den Ausstoß
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