Lilien im Sommerwind
blickte seine Schwester so müde und frustriert an, dass sie das Thema beinahe mit irgendeinem Scherz abgetan hätte. Aber sie hatte viel nachgedacht, seit Tory zurückgekehrt war. Es war an der Zeit, darüber zu reden.
»Denk mal darüber nach.« Zorn auf ihn und auch auf sich selbst machte ihre Stimme scharf. »Wir waren schon so, als wir geboren wurden. Alle drei. Und Mama und Papa vor uns auch. Glaubst du, sie haben aus Liebe geheiratet? Vielleicht möchtest du ja lieber die schönen Seiten des Lebens sehen, aber in Wahrheit weißt du es besser.«
»Sie haben eine gute Ehe geführt, Faith, bis ...«
»Eine gute Ehe?« Mit einem Laut des Abscheus sprang sie auf und holte ihr Zigarettenpäckchen aus der Tasche ihres Morgenmantels. »Was soll das denn heißen? Eine gute Ehe? Dass sie gut zueinander gepasst haben, dass es klug und angebracht für den Erben der größten und reichsten Plantage im Umkreis war, die vermögende Debütantin zu heiraten? Na gut, es war eine gute Ehe. Vielleicht empfanden sie ja auch eine Zeit lang etwas füreinander. Sie haben ihre Pflicht getan«, fügte sie bitter hinzu und zündete ihr Feuerzeug. »Sie haben uns gemacht.«
»Sie haben ihr Bestes getan«, widersprach Cade müde. »Das wolltest du nie sehen.«
»Vielleicht war ja ihr Bestes nicht gut genug für mich. Und ich sehe auch nicht, dass es für dich gut genug gewesen wäre. Haben sie dir denn jemals eine Wahl gelassen, Cade? Dein ganzes Leben lang wurde von dir erwartet, dass du einmal Beaux Reves übernimmst. Und wenn du nun Klempner hättest werden wollen?«
»Das war schon immer mein geheimer Traum. Manchmal repariere ich tropfende Wasserhähne, um mir etwas Gutes zu tun.«
Faith lachte, und ihre Wut ließ nach. »Du weißt ganz gut, was ich meine. Du hättest vielleicht Ingenieur, Schriftsteller oder Arzt werden wollen, aber du hattest ja nicht einmal die Chance, es dir auszusuchen. Du warst der älteste Sohn, und damit war dein Weg vorherbestimmt.«
»Du hast Recht. Und ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn ich vielleicht einen anderen Beruf hätte ergreifen wollen. Tatsache ist aber, Faith, dass ich den Wunsch nicht hatte.«
»Na ja, wie konntest du auch, da du ja ständig gehört hast: >Wenn Cade Beaux Reves einmal leitet< und >Wenn Cade verantwortlich ist Du konntest ja gar nicht an etwas anderes denken, konntest nicht einfach sagen >Ich spiele jetzt Gitarre in einer Rock-'n'-Roll-Band<.«
Dieses Mal musste er lachen, und seufzend lehnte Faith sich an die Brüstung. Sie wusste, warum sie so oft in sein Zimmer kam und seine Gesellschaft suchte. Bei Cade konnte sie sagen, was sie dachte. Er hörte ihr zu.
»Siehst du denn nicht, Cade, dass sie uns zu dem gemacht haben, was wir sind? Vielleicht hast du ja am Ende wirklich bekommen, was du wolltest, und ich freue mich für dich. Wirklich.«
»Ich weiß.«
»Aber richtig ist es deswegen noch lange nicht. Man hat von dir erwartet, dass du klug bist, etwas lernst, Pläne entwickeln kannst. Und während du draußen dein Geschäft gelernt hast, war ich hier, musste mich gut benehmen, leise reden und durfte nicht im Haus herumrennen.«
»Es muss dich doch trösten, dass du selten gehorcht hast.«
»Vielleicht hätte ich das ja getan«, murmelte Faith. »Ich hätte es vielleicht sogar getan, wenn ich nicht schon gewusst hätte, dass dieses Haus ein Übungsplatz für eine gute Ehefrau, eine gute Ehe war. Niemand hat mich jemals gefragt, ob ich etwas mehr oder etwas anderes wollte, und wenn ich nachfragte, wurde ich zum Schweigen gebracht. >Überlass das deinem Vater oder deinem Bruder. Spiel Klavier. Lies ein gutes Buch, damit du dich gescheit darüber unterhalten kannst. Allerdings nicht zu gescheit, schließlich soll kein Mann denken, du könntest klüger sein als er. Wenn du heiratest, ist es deine Aufgabe, ihm ein angenehmes Heim zu schaffend«
Sie starrte auf ihre glühende Zigarette. »Ein angenehmes Heim. Das sollte, nach den Regeln der Lavelles, die Gesamtsumme meines Ehrgeizes sein. Und ich war natürlich entschlossen, das genaue Gegenteil zu erreichen. Ich wollte mit dreißig keine vertrocknete, unterdrückte Frau sein. Nein, wirklich nicht. Und ich sorgte dafür, dass mir das nicht passierte. Lief davon mit dem erstbesten, wilden Jungen, der mich fragte, mit einem, der genauso war, wie ich nicht sein durfte. Und ich war verheiratet und geschieden, noch bevor ich zwanzig wurde.«
»Damit hast du es ihnen aber gezeigt, was?«, murmelte Cade.
»Ja.
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