Lilith Parker
von dieser Idee abbringen â es war schon irrsinnig genug, wenn Emma und sie dieses Risiko eingingen, da musste sich nicht auch noch Matt in Gefahr bringen. Doch dann lächelte sie ihn nur erleichtert an. »Danke!«
Wortlos liefen sie durch die Grabreihen, bis sie die Tür, die in den Zaun eingelassen war, erreicht hatten.
Sofort spürte Lilith es. Irgendetwas war da drauÃen. Obwohl auÃerhalb des Zaunes alles vom Nebel versteckt gehalten wurde, hatte sie das Gefühl, von Hunderten Augen beobachtet zu werden. Sie schluckte schwer und musste gegen den Impuls ankämpfen, auf der Stelle umzudrehen und die Flucht zu ergreifen.
Die Werwölfe wissen schon längst, dass wir hier sind!, durchfuhr es Lilith. Sie mussten nur noch darauf warten, dass das »Frischfleisch« den schützenden Zaun verlieà⦠Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück und prallte mit Matt zusammen.
»Hast du es dir anders überlegt?«
»Ich bin wohl gerade auf eine nicht magische Angstschranke gestoÃen.«
Plötzlich wünschte sie sich, bei ihrer Tante zu sein. Lilith hätte ihr gerne gesagt, wie dankbar sie ihr war â dafür, dass Mildred ihr immer zur Seite stand, mit ihr gemeinsam litt und sie immer zur richtigen Zeit aufmunterte. Obwohl sie sich erst seit ein paar Wochen kannten, war ihre Tanteneben ihrem Vater der wichtigste Mensch in ihrem Leben geworden. Bevor sie heute Abend zu Emma aufgebrochen war, hätte Lilith sie noch einmal umarmen sollen â¦
»Ich habe auch ein flaues Gefühl im Magen«, gestand Matt. »Hoffen wir, dass wir in sieben Minuten tatsächlich wieder hier auf der sicheren Seite stehen werden.«
»Keine Sorge, ich bin alles unzählige Male durchgegangen!« Emma setzte ihren Rucksack ab und holte ihre Utensilien für die Seelengrublerjagd hervor: ein kleines feinmaschiges Fangnetz und ein GlasgefäÃ, das sie nun in ihrer Jackentasche verstaute. Sie überreichte Matt und Lilith zwei schwere Tüten mit rosafarbenem Inhalt.
»Was ist denn das?«, fragte Matt irritiert.
»Du wolltest doch, dass ich Koteletts mitbringe. Ich habe sie mit einem starken Schlafmittel meiner Mutter getränkt, leider weià ich nicht, wie lange es dauert, bis die Wirkung einsetzt.«
Sie atmete tief durch und warf einen ernsten Blick in die Runde. »Bereit?«
Matt und Lilith nickten und Emmas zittrige Finger wanderten zum Türknauf. Erst nach zweimaligem Drehen sprang das Schloss auf â für einen Werwolf ein unüberwindbares Hindernis.
Die Tür schwang mit durchdringendem Quietschen auf und Emma rannte los. Lilith blieb dicht hinter ihr, gefolgt von Matt. Im Schein der Fackeln tauchten sie in die Nebelwand ein, das Knirschen des Kiesbetts unter ihren FüÃen hallte durch die Nacht. Lilith hörte, wie Emma konzentriert die Schritte abzählte.
»⦠fünf, sechs, sieben, acht â¦Â«
Die Grabreihen am Wegesrand flogen an ihnen vorbei und zugleich schienen sie stillzustehen. Lilith fühlte sich wie in einem Film, bei dem die Vorlauf- und die Pausentaste gleichzeitig gedrückt worden waren. Alles ging so schnell, dass sie ihre Umgebung kaum wahrnehmen konnte, und doch schien jeder Schritt unnatürlich verlangsamt. Grüfte mit Säulen und vergitterten Eingängen zogen an ihnen vorbei wie Häuser vor einem Zugfenster, während es in Liliths Innerem rebellierte: »Zurück! Schnell, bring dich in Sicherheit!« Zu gerne hätte sie der Stimme nachgegeben.
»⦠achtundvierzig, neunundvierzig â¦Â«, keuchte Emma.
Liliths Kopf fuhr herum. Hatte sie nicht gerade ein Geräusch gehört? Sie war sich sicher, aus der Gruft neben sich ein Rascheln vernommen zu haben. Eine Ratte? Ein Werwolf? Doch es blieb keine Zeit, stehen zu bleiben, Emma rannte, ohne zu zögern, weiter. Sie war die Einzige, die sie durch dieses Labyrinth aus Nebel und Dunkelheit führen konnte.
»⦠dreiundfünfzig ⦠gleich geht es rechts ab!«
Lilith fasste sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Seite. Verdammt, sie hatte Seitenstechen bekommen! Dabei war sie eigentlich eine gute Läuferin.
Emma drehte den Kopf über die Schulter. »Noch vier Schritte, dann links!«
Lilith hatte völlig die Orientierung verloren und hätte nicht einmal mehr sagen können, in welcher Richtung der Zaun lag. Die Kälte pickte ihr wie mit spitzen Nadeln
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