Lilith - Wunschlos gluecklich
Luc nicht einfach weiter ignoriert? Er allein war schuld, dass sie nun hier stand und ihr Kopf so leer war wie ein Teekessel, aus dem jegliches Wasser verdampft war. Die Kreide schon in der Hand drehte sie sich Hilfe suchend zur Klasse um. Mr. Garner stand mit einem selbstgefälligen Lächeln im Gesicht an das Pult gelehnt, während Luc, von allen unerkannt, neben ihm saß, sie ebenfalls von oben herab angrinste und locker die Beine von der Tischplatte baumeln ließ. Mercedes versuchte, ihr irgendetwas zuzuflüstern, einige andere tuschelten hinter vorgehaltener Hand, während die Klassenschönheit Payten Baker verachtend ihre frisch gezupften Augenbrauen in die Höhe zog. Aufstöhnend wandte sie sich wieder der Tafel zu, als plötzlich Luc neben ihr auftauchte.
»Was willst du?«, knurrte sie kaum hörbar. »Hast du nicht schon genug angerichtet?«
»Dir aus der Scheiße helfen«, stellte er in gewohnter Lautstärke fest.
Klar … niemand sah oder hörte ihn. Niemand außer ihr. »Lass mich raten. Wenn es mein Wunsch ist …?«, flüsterte sie gekünstelt nett. »Hab ich recht?«
»Nein, hast du nicht und nun halt die Klappe und schreib.«
Lilith blickte Luc verstört an, aber er diktierte ihr schon irgendwelche Gleichungen, und so schrieb sie, ohne nachzudenken:
y = x²/150 + 3x/5
k = 3/5, α = 31°
P(15/10,5); t: y = 3x/5 - 3/2; f = 1,5 m
Dem entsetzten Gesichtsausdruck von Mr. Garner nach zu urteilen, waren ihre Ergebnisse an der Tafel wirklich stimmig zu der Aufgabenstellung. Lilith dankte Luc mit einem kleinen Lächeln und legte die Kreide zufrieden an ihren Platz. Während sie zurück an ihr Pult tänzelte, ging ein anerkennendes Raunen durch die Klasse. Mercedes grinste über beide Ohren und klatschte sie ab, als Lilith an ihrem Tisch vorbeikam.
Für die letzte Stunde ließ sowohl Mr. Garner als auch Luc sie in Ruhe. Ersterer wollte sich heute wohl nicht weiter blamieren, aber was Lucs Handeln anging, war sich Lilith leider nicht so sicher. Es kam ihr vor wie die bekannte Ruhe vor dem großen Sturm, aber es wurde noch unheimlicher.
Luc begleitete sie zwar auch wieder in Jordans Wagen nach Hause, doch er verlor während der Fahrt kein einziges Wort. Er saß unerkannt mit Lilith und ihren Eltern am Abendbrottisch, aber auch da kam keine einzige Silbe über seine wunderbar samtig aussehenden Lippen.
Als Lilith später am Abend über ihren Hausarbeiten brütete, lag er stumm wie ein Fisch auf ihrem Bett. Sie spürte lediglich seinen stechenden Blick in ihrem Rücken. Ihr war klar, dass er sie beobachtete und irrsinnigerweise machte sie seine ungewohnte Schweigsamkeit sogar noch nervöser als sein minütliches Gequengel von heute Morgen. Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus. Sie drehte sich schwer seufzend mit ihrem Schreibtischstuhl um 180° und starrte stur zurück. Immer noch machte er keinen einzigen Mucks. Er blickte sie einfach nur an. Und nun, als er ihr nicht mehr in den Rücken stierte, sondern direkt in die Augen, schmolz sie dahin wie Butter in der Sonne.
»Neue Taktik?« Sie räusperte sich.
»Oh, du redest wieder mit mir? Wie nett. Ich nehme nicht an, dass du einen …«
»Nein, ich habe keinen Wunsch!«, fuhr sie ihm über den Mund, gab ihrem Drehstuhl einen erneuten Schubs und wandte sich frustriert wieder ihren Hausaufgaben zu. Wie konnte sie nur so dumm sein und denken, dass er versuchte, nett zu ihr zu sein. Er war ein Dschinn, er wollte nicht nett zu ihr sein, er wollte ihr lediglich drei Wünsche unterschieben und dann einfach nur nach Hause. Sie war inzwischen fast gewillt, dafür zu sorgen, als er seinen Satz beendete und sie damit in die Realität zurückholte.
»Bist du sicher, dass du keinen Wunsch hast?«
Ein Knacken ertönte, als Liliths Bleistift in zwei Teile brach. Ohne es zu bemerken, hatte sich ihr Griff so sehr verfestigt, dass er in der Mitte entzweigebrochen war. Sie schmiss die zwei Hälften in den Papierkorb und wischte die abgebröckelten Splitter auf den Boden.
Nun, sie war bei den Hausarbeiten noch nie die Schnellste gewesen, aber an diesem Abend zog sie das Ende ihrer schulischen Aufgaben extra lange hinaus. Sie wollte damit jeder weiteren Konversation mit Luc aus dem Weg gehen. Für ihn gab es eh nur dieses eine Thema – Wünsche. Es war frustrierend.
Zwischendurch schielte sie immer mal wieder auf den Wecker. Als dieser kurz nach dreiundzwanzig Uhr anzeigte, klappte sie erschöpft ihre Bücher zu und stopfte alles in ihre Schultasche.
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