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Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck

Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck

Titel: Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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sagen das so.
    »Meine Güte, ich dachte immer, man wird härter als Mutter«, äußerte Esha Ness. »Es scheint aber das Gegenteil der Fall zu sein. Mein Herz erweicht.«
    Nicht, daß sie seufzte. So weit ging sie nicht. Aber es standen ein echter Zweifel und ein echter Kummer in ihrem Gesicht.
    »Willst du damit sagen, ich kann fahren?« fragte Desprez.
    »Hau schon ab«, antwortete die Frau, die eine Königin war. Eine Königin mit Kind.
    Als dieses Kind eine halbe Stunde später erwachte, saugte es bereits an der Brustwarze. Floyd erwachte somit trinkend, da Esha ihn noch im Schlaf anzulegen pflegte. Sie gehörte nämlich nicht zu den Müttern, die meinten, ein Kleinkind müsse sein Stimmchen trainieren, seine Schreikraft ausbauen, um sich später im Leben durchsetzen zu können. Nein, Esha wußte, daß es für Floyd und nicht zuletzt für sie selbst besser war, wenn der Tag ohne solche Demonstrationen der Not vorüberging. Ohnedies taten Blähungen und das Zahnen ihren unvermeidbaren Teil, da mußte man nicht noch eins drauflegen.
    Nachdem Floyd zu Ende getrunken und sodann über die Schulter gelegt eine Serie freundlicher Rülpser entlassen hatte, erhob sich Esha Ness und begab sich in einen Extraraum. Ein Mann sprang diensteifrig vom Stuhl und wies mit der Hand auf den Laptop, auf dessen Schirm sich das im grellen Licht glänzende Gesicht einer Frau abzeichnete. Sie hielt ihren Kopf ein wenig schief, als müsse sie an einem einzelnen Sonnenstrahl vorbei in die Kamera sehen. Hinter ihr waren exotische Berge zu erkennen.
    Esha nahm Platz und sagte: »Desprez kommt.«
    »Jawohl, Madame Ness«, antwortete die Frau.
    »Er ist Ihr Vorgesetzter«, erinnerte Esha. »Er bestimmt, wie vorgegangen wird. Sobald aber Stransky tot ist – und ich hoffe für euch alle, daß das bald der Fall ist –, wird auch Desprez erledigt. Augenblicklich, ohne Umschweife, ohne Gerede. Ich will sagen, ohne letzte Zigarette und solchen Quatsch.«
    »Desprez ist ein guter Mann, wenn ich das anmerken darf«, erklärte die Person auf dem Bildschirm.
    »Wollen Sie demnächst neben ihm liegen?« erkundigte sich Esha Ness.
    »Natürlich nicht, Madame Ness.«
    »Dann hören Sie gefälligst auf, mir ein schlechtes Gewissen einreden zu wollen.«
    »Das hatte ich keineswegs vor.«
    »Dann lassen Sie es auch bleiben. Ende!«
    Sie erhob sich und gab dem Mann, der wartend im Raum gestanden hatte, ein Zeichen. So ein Zeichen in der Art eines fallenden Schafotts. Sie wirkte schon ungemein herrschaftlich und unbarmherzig, königinnenhaft halt, wobei gesagt werden muß, daß vieles davon Pose war. Nicht, weil sie die Dinge nicht so meinte, wie sie sagte. Kopf ab! bedeutete auch wirklich Kopf ab! Aber eine solche Entscheidung hätte man auch sehr viel weniger martialisch ausdrücken oder eben gestisch darstellen können. Doch dann wäre niemand auf die Idee gekommen, Esha Ness könnte es auch ernst meinen. Hätte sie ihren Gebärden und Befehlen einen lyrischen, weichen Ton verliehen, sie wäre als die Majestät, die sie war, nicht wahrgenommen worden. Die Leute bekamen folglich zu hören, was sie selbst, die Leute, verstanden und begriffen. Kopf ab! verstanden sie, Blume ab! nicht.
    Zur selben Zeit, da eine unbarmherzige Königin den Tod ihres obersten Truppenführers beschlossen hatte, strich ein Restaurator mit einem weichen, getränkten Lappen über die verdreckte Stelle eines zu Dreiviertel renovierten Wandgemäldes, welches auf ein Leinen aufgetragen sich über die Breitseite einer weiten, hohen Halle erstreckte. Einer Bahnhofshalle, die allerdings keine Schalter, sondern ein Kaffeehaus beherbergte, dessen im Grunde geschmackvolle Einrichtung aus schrebergartenartig separierten Tischecken bestand, jedoch konterkariert wurde von einer häßlichen langen Theke, an der man sich selbst bedienen mußte. Die Theke war so neu wie der Umstand der Selbstbedienung – ein fürchterlicher Umstand, eine Schale Kaffee eigenhändig an einen Tisch zu jonglieren. Sodaß dann meistens die Untertasse überschwemmt war und der Kunde bekleckert dastand. Ein Kunde, der keiner mehr war. Selbstbedienung war eine schlimme Sache, ein deutliches Zeichen dafür, daß es mit der Gesellschaft bergab ging.
    Der Restaurator stand auf einem schmalen, aus mehreren Etagen zusammengesetzten, fahrbaren Gerüst. Tief unter ihm, von Palmen flankiert, befand sich ein Roulettetisch, den ein einzelner Croupier bediente. Zwei Frauen und ein Mann saßen am Tisch und starrten hinüber zum

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