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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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Institut warst, hat dir Richard da irgendwas verschrieben? Irgendwelche Medikamente?«
    »Elavil«, sagte sie, und ich zog meine Notizen über Willie heran und kritzelte es auf den Rand. »Aber dann hat er es wieder abgesetzt.«
    »Warum?«
    »Ich weiß nicht. Er hat es einfach abgesetzt.«
    »Wann hat er das getan? – das Elavil bei dir abgesetzt?«
    Sie brauchte lange für die Antwort. »Das war, nachdem die Träume deutlicher geworden waren.«
    »Wie lang danach?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Und er hat dir nichts anderes verschrieben?«
    »Nein«, sagte sie.
    »Annie, hör zu, wenn du noch mehr Träume hast oder wenn du irgend etwas brauchst, wenn ich dich irgendwo hinbringen soll, was auch immer, ich möchte, daß du mich anrufst. In Ordnung?«
    »In Ordnung.«
    »Annie, gestern abend hast du gesagt, du glaubtest, du würdest den Traum eines anderen träumen. Bist du sicher, daß es ein Traum war?«
    Es entstand wieder eine lange Pause, bevor sie antwortete, und ich fürchtete, sie aufgebracht zu haben, aber sie sagte einfach nur: »Was?«, als hätte sie die Frage nicht verstanden.
    »Woher weißt du, daß es ein Traum ist, Annie? Könnte es etwas sein, das wirklich geschehen ist?«
    »Nein, es sind Träume«, sagte sie, und die Worte waren ein wenig undeutlicher, als wäre sie immer noch nicht ganz wach.
    »Woher weißt du das?«
    »Weil sie sich wie Träume anfühlen. Ich kann das nicht beschreiben. Sie…« Auf einmal klang sie wacher. »Nach welcher Botschaft habe ich gesucht? War das die Botschaft, die ich Hill nach Harper’s Ferry geschickt habe?«
    »Nein«, sagte ich. »Am zwölften September gab Lee die Befehle für den Maryland-Feldzug aus. Einer von ihnen ging verloren. Man weiß nicht genau, was geschah, jedenfalls fand ein Unionssoldat den Befehl und gab ihn an McClellan weiter.«
    »Es kann jedenfalls keine einhunderteinundneunzig Abschriften davon gegeben haben«, sagte sie, als versuchte sie sich selbst davon zu überzeugen. »Lee hatte nicht so viele Generäle. So viele Generäle gab es wahrscheinlich im ganzen Bürgerkrieg nicht.«
    »Du hast einen schweren Tag hinter dir«, sagte ich. »Ich möchte nicht, daß du eine Lungenentzündung bekommst. Leg dich wieder ins Bett, und wir reden morgen darüber.«
    »Wenn es keine hunderteinundneunzig Abschriften gab, warum habe ich diese Zahl dann geträumt?«
    »Es war Sonderbefehl 191. Er war an D. H. Hill adressiert, den Mann, den du in deinem Traum auf dem grauen Pferd gesehen hast. Er behauptete, der Befehl sei nie zugestellt worden.«
    Sie legte auf. Ich blieb mit dem Hörer in der Hand stehen, bis das Telefon zu tuten begann. Dann stellte ich mich ans Fenster und schaute in den Schneefall hinaus, bis es dunkel wurde.
    Sie hatte mich nicht nach D. H. Hill gefragt, und ich hatte ihr nichts gesagt. Hill hatte bei Antietam ein graues Pferd geritten. Er hatte die Truppen auf einem exponierten Hügel begutachtet, als Lee und Longstreet angeritten kamen. Sie saßen ab, um das Schlachtfeld zu mustern, doch Hill blieb trotz des Artilleriefeuers im Sattel sitzen. »Wenn Sie unbedingt dort hinaufreiten und das Feuer auf sich lenken wollen«, hatte Longstreet ärgerlich gesagt, »dann lassen sie uns noch einen Moment Zeit.«
    Hill hatte keine Gelegenheit mehr zu antworten. Die Kanonenkugel riß dem Pferd die Vorderbeine ab, und es stürzte nach vorn auf seine Stümpfe. Hill hatte einen Fuß im Steigbügel, und als er von dem Pferd herunterzukommen versuchte, hatte er sein anderes Bein nicht über die Sattelkruppe schwingen können, genau wie Annie es beschrieben hatte. So, wie sie es gesehen hatte. In ihrem Traum.

 
4
     
Traveller war ein konföderierter grauer Wallach, mit schwarzer Mähne und schwarzem Schweif. Er war wahrscheinlich kein Vollblut, auch wenn manche Historiker unglaublich weit ausgeholt haben, um ihn mit einer aristokratischen Abstammung auszustatten, wobei einer sogar behauptete, er sei ein Nachkömmling von Diomed, dem berühmten englischen Derby-Sieger. Doch er besaß die Intelligenz eines Vollbluts, Tapferkeit und unglaubliche Ausdauer. »Er braucht niemals die Peitsche oder die Sporen«, schrieb sein Besitzer an Lee, »und er geht überall hin.«
     
    ICH STAND IN ALLER FRÜHE AUF und ging zur Bibliothek, um nachzusehen, was ich über Elavil herausfinden konnte. Im Drogenlexikon stand, es sei ein ziemlich mildes tricyclisches Antidepressivum mit einem sedierenden Effekt, das häufig bei Schlaflosigkeit Anwendung fände. Es hatte eine

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