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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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können es nicht verfehlen. Der Apotheker hatte recht gehabt. Überall gab es Schilder: Highway-Schilder für den US 3, kleine braune für den Nationalpark beinahe an jedem Block auf dem Lafayette Boulevard, ein großes braunes Schild am Eingang, ein ›Nach Einbruch der Dunkelheit geschlossen‹ neben dem Eisentor, Fredericksburgs-historischer-Rundgang-Nummer-24-Zeichen, eine weißes ›Nationalfriedhof‹-Schild. Sunken Road war mit einem gewöhnlichen grün-weißen Straßenschild gekennzeichnet. Ich bog in die Sunken Road ein und parkte gegenüber dem Besucherzentrum. Es war nach neun, was bedeutete, daß das Besucherzentrum und vermutlich auch die Bücherei geöffnet waren, doch ich ging nicht hinein. Ich stieg auf den Hügel, um mir die Gräber anzusehen.
    Es war nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt hatte. Der Hügel war in grasbewachsene Terrassen gegliedert, die gerade breit genug für eine Grabreihe waren, und an der Spitze senkten sich die gemeißelten Schlußsteine in säuberlichen Reihen gegen eine Flagge, die in Pyramiden aus dekorativen, massiven Kanonenkugeln verankert war, aber der Hügel war nicht einmal halb so hoch wie der Hügel bei Arlington, kaum hoch genug, um von einem Höhenzug zu sprechen.
    Die Ebene an seinem Fuß, wo all die Toten gelegen hatten, war mit Gras, Bäumen und Wegen aus im Zickzack angeordneten Backsteinen bedeckt. Rund um das Besucherzentrum hatte man Azaleen und Efeu gepflanzt. Es sah aus wie der Hinterhof von nebenan.
    Nun, so war der Bürgerkrieg eben gewesen, nicht wahr? Ein Krieg im Hinterhof, ausgetragen in Maisfeldern und auf Veranden und auf ausgefahrenen Landstraßen, ein gemütlicher kleiner Krieg, in dem zweihundertundviertausend Jungen und Männer unmittelbar umgekommen waren und weitere vierhunderttausend an der Ruhr, nach Armamputationen und an Gallenkoliken gestorben waren. Doch den hübschen Gräberreihen zum Trotz, die sich in perspektivischer Verkürzung in die Ferne erstreckten, sah es nicht so aus, als sei hier jemals jemand getötet worden. Und es sah nicht so aus wie in Arlington.
    An der Hügelkuppe nahm ich den Backsteinweg, der an ihrem Rand entlang bis zu einem großen Schild hinüberführte, das sich als ein Gemälde herausstellte, auf dem Lee zu sehen war, der durch ein Fernglas auf das Schlachtfeld hinausschaute. Daneben war ein gemauerter Sockel mit einem Lautsprecher darin. Ich drückte den Knopf für den unwissenden Touristen auf Besichtigungstour.
    »An dieser Stelle von Marye’s Heights«, sagte eine tiefe autoritäre Stimme, »stand General Robert E. Lee und leitete die Schlacht von Fredericksburg.« Sie klang wie Richard über Anrufbeantworter. Ich ließ die Stimme weiterreden, während ich die Gräber am Rand betrachtete.
    Sie waren von Granitplatten mit vielleicht fünfzehn Zentimetern Kantenlänge gekennzeichnet. Auf jeder Platte waren zwei Ziffern. Ich stand vor der Ziffer 243, darunter war eine Linie, und darunter stand die Zahl 4. Ich notierte die Ziffern auf einem Stück Papier, damit ich mich erkundigen konnte, was sie bedeuteten.
    »Guten Morgen«, sagte ein Ranger mit braunem Hut. Er kam mit einem Müllsack aus Plastik zu mir herüber. »Wollten Sie ins Besucherzentrum? Ich war draußen, das Gelände überprüfen, deshalb habe ich abgeschlossen, aber ich kann es aufschließen. Wir haben seit einiger Zeit Probleme mit Jugendlichen, die nachts hier reinkommen.« Er holte eine Bierdose aus dem Sack, um sie mir zu zeigen, dann stopfte er sie wieder hinein. »Die erste Tour ist um elf. Suchen Sie nach einem bestimmten Grab?«
    »Nein«, sagte ich. »Ich wollte nur das Schlachtfeld von hier oben sehen.«
    »Kann man sich nur schwer vorstellen, daß hier jemals eine Schlacht war, wie? Die Artillerie stand hier über die ganze Höhe verteilt, und dort unten hinter der Steinmauer waren Scharfschützen, da, wo die Straße ist. Es ist übrigens nicht die Originalmauer. General Robert E. Lee hat die Schlacht von hier oben kommandiert«, sagte er mit der Begeisterung eines Mannes, der nie im Krieg gewesen ist. »Er hat die Unionsarmee dort unten vom Fluß heraufkommen sehen«, er zeigte über die Bäume und Dächer von Fredericksburg zum Rappahannock hinüber, »und er sagte: ›Es ist gut, daß der Krieg so schrecklich ist, sonst würden wir ihn zu sehr mögen.‹«
    »Was bedeuten die Zahlen auf den unbeschrifteten Grabsteinen?«
    »Das sind die Registriernummern der Gräber. Nach dem Krieg waren hier über das ganze Gebiet verstreut

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