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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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genommen hatte? Was, wenn sie sich endgültig davongemacht hatte, aus Angst, ich könnte ihre Träume zu beenden versuchen, aus Angst, ich würde ihr Thorazin ins Essen geben, so wie Richard?
    Richard. Er hatte Brouns Agentin angerufen. Wen hatte er sonst noch angerufen? Niemand weiß, wo wir sind, dachte ich verzweifelt. Aber was, wenn Annie Richard ihren zweiten Traum schließlich doch erzählt und er die Schlacht von Antietam darin erkannt hatte? Und wenn wir nicht in Antietam waren, er zum nächsten Schlachtfeld gefahren war? – Und das war Fredericksburg.
    Ich rannte die Treppe wieder hinauf, durch den Korridor und hinunter zum Empfangsschalter. »Haben Sie einen Mann hier gesehen, ungefähr von meiner Größe, angezogen wie ein Arzt?«
    Der Angestellte grinste. »Sie suchen Mrs. Davis?« sagte er, wobei er das Mrs. betonte. »Sie hat uns gebeten, ihr ein Taxi zu rufen.«
    Ein Taxi? Sie war also nicht bei Richard im Wagen, unter Drogen gesetzt und hilflos, auf dem Rückweg nach Washington. Sie hatte ein Taxi nach Arlington genommen, weil ich sie nicht dorthin bringen wollte. »Hat sie gesagt, wo sie hinwollte?«
    »Sie hat mir überhaupt nichts gesagt«, sagte er, immer noch grinsend. »Als sie nach dem Taxi verlangt hat, da habe ich sie dann allerdings sagen hören, daß sie zum Schlachtfeld von Fredericksburg hinausfahren wollte.«
    Ich nahm zwei Stufen auf einmal, riß die Wagenschlüssel an mich, rannte wieder zum Wagen hinaus und raste quer durch die Stadt. Aber ehe ich auch nur zwei Blocks weit gekommen war, wußte ich bereits, daß ich zu spät kommen würde.
    Lincoln entschuldigte die Wachtposten, die im Dienst eingeschlafen waren, indem er sagte, für Farmersjungen sei es schwer, mit ihren Gewohnheiten zu brechen. Mich hätte er nicht entschuldigt. Ich hatte Annie allein zum Schlachtfeld fahren lassen, und es begann zu schneien.

 
13
     
Lee vergaß niemals seine Liebe zu Pferden, nicht einmal ganz zum Schluß. Mit seine größte Sorge während jener letzten Woche, als Five Forks fiel und Sheridan alle Hoffnungen auf eine Flucht nach Norden zunichte machte, galt den hungernden Maultieren und Pferden. Er hatte veranlaßt, daß ihre Haferrationen an die Männer ausgegeben wurden.
Am Morgen der Kapitulation kam Colonel John Haskell ›schnell wie der Wind‹ mit der Neuigkeit herbeigeritten, Fitz Lee habe von einer Straße Kenntnis erhalten, über welche die Armee vielleicht doch noch würde fliehen können. Er hatte nur einen Arm, und er konnte sein Pferd erst hundert Meter hinter Lee zum Stehen bringen. »Was ist denn das?« schrie Lee und rannte zu dem atemlosen Pferd. »Oh, warum haben Sie das getan? Sie haben Ihr wunderbares Pferd umgebracht!«
     
    DAS BLAUE TAXI stand vor dem Tor des Nationalparks. Ich stürmte die Terrassenhänge zum Friedhof hinauf. Ich schaute nicht einmal im Besucherzentrum oder auf den Wegen nach ihr. Es gab nur einen Ort, wo sie sein konnte.
    Sie stand auf Marye’s Height, dort, wo Lee gestanden haben mußte, und der graue Mantel flatterte ihr um die Beine. Der Schnee fiel in merkwürdig scharfkantigen Graupeln, wie Gewehrfeuer. Annie hatte eine Broschüre in der Hand, sah sie jedoch nicht an. Und was sah sie? Das Blitzen und Leuchten der Sonne auf Metall, das Flattern der Fahnen, die atemlose Ruhe, ehe die Männer auf der nackten Ebene in Fetzen gerissen wurden, die eine nach der anderen kippenden Fahnen, die stürzenden Pferde? Oder die Gräber, die unter ihr in Reihen Terrasse auf Terrasse folgten?
    Ich stieg keuchend die letzten Stufen hoch. »Bist du in Ordnung?« sagte ich, wobei ich nach jedem Wort nach Luft schnappen mußte.
    »Ja«, sagte sie und lächelte mich an, freundlich und ernst.
    »Du hättest mich wecken sollen«, sagte ich. »Ich hätte dich hierher gefahren.«
    »Du brauchtest ein bißchen Schlaf. Ich habe mir wegen dir Sorgen gemacht. Du bleibst mit mir die ganze Nacht über wach und kommst überhaupt nicht zum Schlafen.«
    Sie wandte sich um und blickte zu den Gräbern auf dem weiten terrassierten Abhang hinunter.
    »Der Friedhof wurde erst nach dem Krieg angelegt«, sagte ich und bekam immer noch nicht richtig Luft. »Es war nicht so, daß man die Soldaten hier gleich nach der Schlacht begraben hat. Das wurde erst 1865 in einen Nationalfriedhof umgewandelt. Eine Menge Soldaten, die hier begraben liegen, sind wahrscheinlich nicht einmal im Krieg gefallen.«
    Sie blickte den Backsteinweg entlang, auf dem wir standen. In den Weg waren Wegweiser zu den

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