Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Linda Lael Miller

Linda Lael Miller

Titel: Linda Lael Miller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein suendiger Engel
Vom Netzwerk:
anklagend.
    Ein
Frösteln, das nichts mit ihren eigenen Problemen zu tun hatte, erfaßte Bonnie.
Die Männer waren Hüttenwerksarbeiter, und sie konnte sich gut vorstellen,
worüber sie sprachen: über ihre wachsende Unzufriedenheit mit den Löhnen und
den Zuständen, die im Werk herrschten. Nur wenige Wochen nach Bonnies Rückkehr
nach Northridge war Gerede über drohende Streiks aufgekommen, und es hatte
einige gewaltsame Zwischenfälle gegeben. In seiner Eigenschaft als
Geschäftsführer der McKutchen Hüttenwerke war es Forbes damals gelungen, die
aufgebrachten Arbeiter vorläufig zu beschwichtigen. Inzwischen gingen
allerdings neue Gerüchte um, daß wieder Gewerkschaftsfunktionäre in Northridge
waren und sie geheime Versammlungen abhielten.
    Was den
gegenwärtigen Stand der Dinge in der Firma seines Großvaters betraf, so hätte
Eli sich keinen geeigneteren Zeitpunkt für seine Rückkehr nach Northridge
aussuchen können.
    Doch als
Bonnie in das Zimmer ging, das sie mit Rose Marie teilte, kam ihr zu
Bewußtsein, welch ein schreckliches Chaos aus einem Konflikt zwischen
Firmenleitung und Gewerkschaften entstehen konnte. Und angesichts dieser Überlegungen
mußte sie sich eingestehen, daß Eli auch keinen schlechteren Zeitpunkt
für seine Rückkehr hätte wählen können.
    Im Schein
der flackernden Petroleumlampe betrachtete sie ihre schlafende Tochter, die mit
ihrem blonden Haar und den rosig angehauchten Wangen wie ein kleiner Engel aussah.
Ihr Anblick ließ Bonnie alle unangenehmen Dinge in ihrem Leben bedeutungslos
erscheinen.
    Sie beugte
sich über das kleine Mädchen und küßte es zärtlich, bevor sie zur Waschkommode
ging, um die Schminke von ihrem Gesicht zu entfernen. An diesem Abend konnte
sie sich nicht dazu überwinden, sich in dem kleinen Spiegel an der Wand
anzusehen, bis sie ihr Gesicht gewaschen und die glitzernden Kämme aus ihrem
Haar genommen hatte.
    Ihr Kleid
war tief ausgeschnitten, und Bonnie erschrak fast über ihren Anblick. Bisher
hatte sie das Tanzen sich selbst gegenüber noch immer zu rechtfertigen
vermocht, doch heute bedrängten sie zum ersten Mal ernsthafte Zweifel an ihrer
Entscheidung. Denn immerhin war Rose Marie auch Elis Tochter, und jetzt, wo er
es wußte, bestand Gefahr, daß er versuchen würde, ihr die Kleine wegzunehmen.
    Von allen
Bedrohungen, denen Bonnie sich ausgesetzt sah, war das die erschreckendste. Mit
zitternden Händen streifte sie ihr Tanzkleid ab und schlüpfte in ein langes
Flanellnachthemd. Im Bett begann sie sich dann auszumalen, was Eli ihrer
Tochter alles bieten konnte und sie nicht, und der Gedanke steigerte ihre
Furcht ins Unerträgliche. Nicht einmal die schwere Decke, unter der sie lag,
konnte sie in dieser Nacht wärmen.
    Eli
hatte schlecht geschlafen.
Zu viele Erscheinungen verfolgten ihn in Genoas Haus, und längst nicht alle
waren Gespenster jener, die längst verschieden waren. Die Geister seiner Eltern
schienen überall zu sein, und Eli erinnerte sich, wie sehr es geschmerzt hatte,
sie zu verlieren. Auch heute noch, mit dreiunddreißig Jahren, war er unfähig
zu begreifen, wie sein Vater und seine Mutter ihre Kinder hatten verlassen
können, um als Missionare nach Afrika zu gehen.
    Aber der
Geist, der ihn am meisten quälte, war der von Bonnie. Sie hielt sich in jeder
Ecke des Hauses auf – die jüngere, lachende Bonnie, die einst seine Braut
gewesen war. Weil er Luft zum Atmen brauchte, verließ Eli schon früh das Haus
und ging zum Teich hinunter, wo er kleine Steine in das Wasser warf. Dabei war es
ihm, als stünde sein Großvater neben ihm, doch Josiahs Anwesenheit empfand er
nicht als beunruhigend.
    In Gedanken
kehrte er an jenen Tag zurück, an dem seine Eltern angekündigt hatten, alle > weltlichen Dinge < hinter sich zurücklassen zu wollen. Auch damals war er
hier zum Teich hinabgelaufen, ein zehnjähriger Junge und zutiefst erschüttert.
Josiah hatte ihn getröstet.
    »Es ist ein
trauriger Tag für die McKutchens, mein Junge«, hatte er gesagt. »Weine nur,
wenn es dir hilft. Ich würde es auch gern tun.«
    Doch der
junge Eli hatte sich eisern beherrscht. »Die Steine hüpfen nicht«, hatte er
gesagt. »Sie sinken auf den Grund.«
    Josiah
hatte sich gebückt und einen flachen Kiesel aufgeho ben, und da war es um Elis
Beherrschung geschehen gewesen. Aufschluchzend hatte sich der Junge seinem
Großvater in die Arme geworfen.
    Eli zwang
sich, mit seinen Gedanken in die Gegenwart zurückzukehren. Er war fast
erleichtert, als er Genoa in

Weitere Kostenlose Bücher