Lisa Kleypas
Der
Himmel hatte sich inzwischen rosa gefärbt, weit oben hingen Schleierwolken.
Wie immer fühlte er sich erleichtert, zurück auf der Insel zu sein. Hier ließ
sich die Luft leichter atmen, sie war weicher, und die Spannung, die er immer
auf dem Festland verspürte, fiel von ihm ab. Den meisten Passagieren war
Ähnliches anzusehen. Ihre Schultern entspannten sich so sehr, als würden sie noch
einmal neu in den Tag starten. Mark musste sich beeilen, zu seinem Wagen zu
kommen, weil er ziemlich weit vorn stand und damit andere daran hinderte, die
Fähre zu verlassen. Das würde ihm den gerechten Zorn der anderen Passagiere
einbringen, aber er konnte den Blick nicht von Maggie lösen. Jede Zelle seines
Körpers wehrte sich dagegen, sie zu verlassen.
»Soll ich
Sie irgendwohin fahren?«, fragte er.
Promptes
Kopfschütteln war die Antwort. Ihre roten Locken flogen dabei wild umher. »Mein
Wagen steht ganz in der Nähe.«
»Maggie«,
begann er vorsichtig. »Vielleicht, irgendwann ...«
»Nein«,
fiel sie ihm ins Wort und lächelte bedauernd. »Eine Freundschaft können wir uns
nicht leisten. Sie hat keine Zukunft.«
Sie hatte
recht damit.
Blieb also
nur noch, sich zu verabschieden. Normalerweise hatte Mark damit keine
Probleme, aber in diesem Fall ...
»Bis
demnächst einmal« oder »Passen Sie gut auf sich auf« – das klang zu
gleichgültig, zu beiläufig. Andererseits würde eine Bemerkung darüber, wie
viel ihm dieser Nachmittag bedeutete, auch nicht gut ankommen. Schließlich
löste Maggie das Problem für ihn, indem sie eine Verabschiedung unnötig machte.
Sie lächelte angesichts seines Zögerns, legte ihm die Hand auf die Brust, gab
ihm einen spielerischen Stoß und sagte: »Nun gehen Sie schon!«
Und das tat
er. Ohne sich noch einmal umzuschauen, eilte er die Stahltreppe zum Parkdeck
hinunter. Seine Schritte hallten in dem leeren Gang. Sein Herz hämmerte, und er
meinte noch ihre Hand auf seiner Brust zu spüren. Er stieg in sein Auto, zog
die Tür zu und schnallte sich an. Während er auf das Signal zum Losfahren
wartete, machte sich in ihm das schmerzhafte Gefühl breit, etwas Wichtiges
verloren zu haben.
Kapitel 7
Anfang Oktober endete die Saison für Walbeobachtung
und Kajaktouren. Zwar kamen im noch Touristen nach San Juan, aber in geringeren Zahlen. Kein Vergleich zu
der Touristenflut, die im Sommer über die Insel hereinbrach.
Die am
häufigsten von Touristen gestellte Frage lautete, wie Friday Harbor zu seinem
Namen gekommen sei. Maggie hatte schnell raus, dass es zwei verschiedene Standardantworten
gab.
Die
bevorzugte war die im Ort überlieferte: Ein Kapitän, der mit seinem Schiff in
den Hafen einlief, wollte wissen, wo er war, und fragte einen Mann am Ufer,
wie die Bucht hieß: »What bay is this?« Welche Bucht ist das? Der
Befragte verstand aber: »What day is this?«, also: »Welchen Tag haben wir
heute?« Deshalb antwortete er: »Friday«, Freitag, und so
bekam die Bucht den Namen Friday Harbor.
In
Wirklichkeit war der Ort nach einem Hawaiianer namens Joseph Friday benannt,
der für die Hudson's Bay Company arbeitete und etwa sechs Meilen nördlich des
Hafens Schafe hielt. Wenn Seefahrer an der Küste entlangfuhren und die
Rauchsäule entdeckten, die von seinem Lager aufstieg, wussten sie, dass sie Fridays
Bucht erreicht hatten. Schließlich trugen die Briten diese Bezeichnung in
ihre Karten ein.
1872 wurde
die Insel amerikanisch, und seitdem florierte die Wirtschaft. San Juan wurde
zum Zentrum des Obstanbaus im Nordwesten. Außerdem siedelten sich Sägewerke
und Fischfabriken an. Später verdrängten Luxuswohnungen und Sportboote die
Fabriken und Lastkähne. Der Tourismus wurde zum wichtigsten Wirtschaftszweig, und obwohl
die Hauptsaison im Sommer lag, strömten auch in den übrigen Monaten des Jahres
Touristen auf die Insel.
Der Herbst
lag in der Luft, das Laub der Bäume färbte sich bunt, und die Einwohner von San
Juan begannen, sich auf die bevorstehenden Feiertage vorzubereiten. Überall auf
der Insel fanden Erntedankfeste, Bauernmärkte, Weinfeste, Kunstausstellungen
und Theatervorführungen statt. In Maggies Laden ging es immer noch hoch her.
Einheimische kamen, um Kostüme und alles Mögliche andere für Halloween zu
kaufen, sowie die ersten Weihnachtsgeschenke. Das Geschäft ging so gut, dass
Maggie schließlich eine von Elizabeths Töchtern als Teilzeitverkäuferin
einstellte.
»Jetzt
kannst du vielleicht auch mal ein wenig ausspannen«, meinte Elizabeth.
»Ein freier
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