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Liverpool Street

Liverpool Street

Titel: Liverpool Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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war: Um ein Haar hätte man mich den Shepards weggenommen! »Ich wollte das nicht!«, rief ich entsetzt. »Ich konnte doch nicht wissen, dass sie gleich jemanden vorbeischicken.«
    »Nein, du nicht«, erwiderte Amanda grimmig. »Aber Iris March, diese intrigante alte Hexe! Heul nicht, es ist nicht deine Schuld. Sag mir lieber, warum du ihr unsere Adresse gegeben hast.«
    »Sie kennt jemanden, der Hilfe braucht«, jammerte ich. »Eine kranke Mrs Soderbergh.«
    »Wilma Soderbergh? Die kenne ich auch. Erst gestern war ich bei ihrer Beerdigung«, erwiderte meine Pflegemutter kühl.
    Ich wischte mir übers Gesicht. »Ist sowieso zu spät«, sagte ich mit zitternder Stimme. »Meine Eltern sind in Holland. Ihnen gefällt es da. Sie wollen nicht mehr nach England.«
    »Was schreiben sie denn?«, fragte Amanda freundlicher.
    Ich hielt ihr den Brief hin. »Ihr könnt mich behalten«, antwortete ich und brach in Tränen aus.

11
    Drei Wochen vor den Sommerferien sammelten die Lehrer, anstatt uns nach der Hofpause wieder ins Gebäude zu rufen, ihre Klassen um sich und schienen auf etwas zu warten. Nach einigen Minuten trat Mrs Collins auf die Schultreppe und bat um Ruhe. Ich hatte eine Siebenjährige an der linken und zwei an der rechten Hand und ragte einen ganzen Kopf aus meiner Gruppe heraus.
    »Wir machen heute eine kleine Übung mit euch«, verkündete Mrs Collins. »Wir wollen uns immer zu zweit an den Händen fassen und hinter unseren Lehrern aufstellen. Die erste Klasse steht vorn, gefolgt von der zweiten und so weiter. Und wenn wir uns alle aufgestellt haben, ziehen wir in einer langen Schlange zum Bahnhof, wie ein Krokodil!«
    Ich musste lachen. Die Engländer hatten die verrücktesten Ideen!
    In Deutschland hatten wir nur ab und zu Feuerwehrübungen gehabt, immer verbunden mit viel Lärm, Sirenen und gespielter Aufregung. Hier zogen wir vergnügt Hand in Hand um die Häuser, die Lehrer blickten dabei auf ihre Uhren und als wir am U-Bahnhof von Finchley angekommen waren, stellten sie übereinstimmend fest, dass es achtzehn Minuten gedauert hatte.
    Komisch war nur, dass die Leute auf der Straße stehen blieben und uns ernst und traurig ansahen, als wir fröhlich an ihnen vorbeiliefen.
    »Eigentlich tut es mir leid, nach den Sommerferien die Klasse zu wechseln«, sagte ich an diesem Abend zu Onkel Matthew. »Einige der Kleinen habe ich mittlerweile richtig lieb.«
    »Möchtest du denn nicht endlich eine Freundin finden?«, fragte er und wanderte in unserem winzigen Garten umher, fasste wie jeden Abend dieses Blümchen und jenen Zweig an, um festzustellen, was seit gestern neu hinzugewachsen war.
    »Sieh dir das an!«, hatte er vor wenigen Tagen gestaunt. »Es sieht so leicht aus, es ist alles einfach da, und doch gibt es da einen großen Plan! Das ist die Schöpfung, Frances. Gott gibt uns, was er geschaffen hat, aber er braucht die Hand des Menschen.«
    »Ein Plan, klar«, wiederholte ich. Ich war mir nicht ganz sicher, was er damit sagen wollte, aber wie er es sagte, gefiel mir ganz bestimmt.
    »Ach, eine Freundin«, brummte ich auf seine Frage. »Ich hatte mal eine Freundin, in Berlin. Es hat nicht geklappt.«
    »Wie hieß sie denn?«, wollte Onkel Matthew wissen.
    Doch ich konnte es ihm einfach nicht sagen. Ich wusste, wenn ich den Mund aufmachte und Bekkas Namen aussprach, würde ich anfangen zu weinen.
    »Chaja«, erwiderte ich. »Ihr Name war Chaja.«
    Und lief ganz schnell ins Haus.
    Auch meine Mutter genoss den Sommer. Sie hatte Arbeit auf einem riesigen Erdbeerfeld gefunden und die Briefe, die sie mir schickte, waren mit dicken roten Klecksen versehen, da sie während der Pausen von den Früchten naschen durfte. Schnüffelte man an den Briefen, duftete es ganz zart nach Erdbeeren. Erst dachte ich, ich bildete es mir ein, aber als ich Amanda einen frisch eingetroffenen Brief unter die Nase hielt, roch sie es auch!
    Die Briefe meines Vaters hingegen erschreckten mich. Sie bestanden aus nur zwei, drei Sätzen in dünner, krakeliger Schrift und man konnte sehen, welche Mühe ihn selbst dies gekostet hatte. Vier Tage nach seiner Einlieferung ins Sanatorium hatte man ihn ins Krankenhaus gebracht und notoperiert; offenbar hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Herzinfarkte hinter sich, die unbemerkt geblieben waren. Wie es aussah, hatte meine Mutter meinen Vater im allerletzten Augenblick nach Holland gebracht und ich war mittlerweile sehr froh, dass sie nicht auf meine Hilfe gewartet hatten.
    Mamu bekam in

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