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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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gerade klein und erstreckte sich ein gutes Stück vom Haus weg – und dort, in seinem Mittelpunkt, ruhte Hanric, der Schatten der Sumpfkönigin. Die Sonne war hinter den Bäumen verschwunden und tauchte alles in ein sanftes Licht, das langsam grau wurde. Schatten erhoben sich in dem Irrgarten, und Jin dachte über die Kindkönigin Winters und die Aufgabe nach, die vor ihr lag.
    Die Augenblicke, die ihr Schicksal bestimmen werden , dachte sie. Und noch ein weiterer Gedanke schoss ihr durch den Kopf, so unversehens, dass sie zusammenzuckte. Wie bei Rudolfo.
    Es war nicht möglich. Sie rechnete es nach, bezog alle Umstände mit ein, wie ihr Vater es ihr beigebracht hatte, und das Ergebnis erschütterte sie.
    Dies ist das Werk des Hauses Li Tam . Die Fäden, die sie nun erkennen konnte – die sogar bis in die Sumpflande reichten –, waren ausgeklügelt und sorgfältig geknüpft, und das Herz wurde ihr schwer in der Brust. Die Fäden ließen sich weiter zurückverfolgen als nur bis zu den Anschlägen der Sümpfler mit den Blutmagifizienten. Zurück bis nach …
    Sie sprach es laut aus, sie konnte nicht anders: »Windwir«, sagte sie mit einem krächzenden Flüstern.
    Es war ein Schmerz, den sie genauso ausgetragen hatte wie ihr
Kind, die ganze Zeit über hatten seine Zähne an ihr genagt, während sie ihre eigene Rolle beim finsteren Werk ihres Vaters zu enträtseln versuchte.
    Sie stand eine ganze Zeit lang am Fenster, bis der Himmel dunkel und die Lampe fast heruntergebrannt war. All das hatte ihr Vater getan, und vielleicht dessen Vater zuvor. Ein ausgeklügeltes Schnittmuster auf der Haut der Welt, ein whymerischer Irrgarten, angelegt aus Blut und Leid. Der Androfranziner-Orden war bereits ausgelöscht worden, und nun hob sich die gesalzene Klinge erneut, um noch tiefer zu schneiden. Aber weshalb? Sie stand eine Weile da und dachte darüber nach.
    Dann setzte sich Jin Li Tam auf ihren Stuhl, drehte den Docht hoch und ging zurück an ihre unerledigte Arbeit.

Kapitel 10
    Neb
    Sie ritten schweigend, tief über die Sättel gebeugt, und trieben die Pferde so hart an, wie die Magifizienten es zuließen. Die Packpferde hinter ihnen hielten mühelos mit, geführt von den Spähern, die die Nachhut bildeten. Ihre Hufe fegten über die breiten, flachen Steine der Whymerischen Straße, aber statt unter dem trommelnden Galopp Funken zu sprühen, gaben sie nur ein schwaches Husten ab, da die Magifizienten den Schall verzerrten, genauso wie die Spähermagie das Licht krümmte. Die Landschaft jagte an ihnen vorüber, während ihre magifizierten Pferde sie über das felsige Gelände trugen.
    Neb klammerte sich am Sattel fest und beugte sich vor, ließ sich den kalten Wind, der ihn umfing, über den Rücken strömen. Er versuchte, seine Augen auf den Späher vor sich gerichtet zu halten, aber die Landschaft zog seine Aufmerksamkeit immer wieder auf sich. In den zerschmetterten Landen, durch die sie ritten, lag eine Schönheit, die ihn zutiefst berührte.
    Und dies sind nur die äußeren Säume. Tiefer in den Ödlanden warfen gläserne Bergketten blutige Schatten über Knochenwälder. Und in der Nähe jener toten Städte gab es weite Flächen aus weißem, grobem Glas. Dort war das verbliebene Meersalz mit dem Sand zu rasiermesserscharfen Dünen verschmolzen, über denen der Wind stöhnte. Nachts jagten dort Geschöpfe im Schein
des blaugrünen Mondes, unbeschreibliche Überbleibsel aus längst vergangenen Zeiten, von Xhum Y’Zirs Sieben kakophonischen Toden in den Wahnsinn getrieben.
    Neb hatte diese Dinge in seinen Träumen gesehen und zweifelte nicht daran, dass sie ihn irgendwo erwarteten.
    Aber für den Augenblick bestand die Landschaft nur aus Felsen, Sand und Gestrüpp und zerklüfteten Granitvorsprüngen, über die Jahre vom Wind geformt und von niedrigem Dickicht überwuchert. Es sah ganz anders aus als in seinen Vorstellungen.
    Sie hatten die Ödlande nur zehn Minuten nach dem Metallmann betreten, der vor ihnen geflohen war. Wenn er sie überhaupt bemerkt hatte, kümmerte es ihn nicht. Der Automat bewegte sich schnell, und kurz bevor sie ihn aus den Augen verloren hatten, war er noch immer auf der Whymerischen Straße nach Westen gelaufen, sein bloßes Haupt in der Ferne im Licht der Sonne schimmernd.
    Neb fürchtete, sie könnten ebenso gut in einem weiten Ozean nach einer einzelnen Perle suchen, aber er zögerte, es anzusprechen. Neben ihm saß Isaak unruhig im Sattel und hielt seine Bernsteinaugen auf die Straße vor

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