Lockende Flammen
Kooperation und unbedingten Gehorsam verlangte.
Die Fahrt war so kurz, dass Leonora kaum einen Eindruck von der Umgebung bekam. Olivenhaine flogen vorbei, gleich darauf stieg die Straße steil an, und die Gegend wurde karger. Rechterhand erhoben sich schroffe Felswände, und links lag das Meer.
Nachdem sie einen Berg umrundet hatten, ragte hoch oben auf einem Felsen das Castello vor ihnen auf, wie ein Raubvogel, der seine Beute umklammert. Trotz der Hitze bekam Leonora eine Gänsehaut. Aus irgendeinem Grund erschien ihr die Burg wie der Inbegriff von finsterer Macht, Unfreiheit und Feindschaft.
Durch einen steinernen Torbogen gelangten sie in einen imposanten, beflaggten Innenhof, in dessen Mitte ein großer, mit Ornamenten überladener Springbrunnen sprudelte. Von hier aus blickte man jedoch nicht wie erwartet auf die mittelalterlichen Wohnanlagen einer Burg, sondern auf eine beeindruckend elegante Schlossfassade aus dem achtzehnten Jahrhundert. Leonora keuchte verblüfft.
Falcon, dem ihre Überraschung offenbar nicht entgangen war, drehte sich zu ihr um und erklärte lächelnd: „Einer unserer Vorfahren hatte die glorreiche Idee, das Originalgebäude zu ersetzen, sodass heute von dem ursprünglichen Castello nur noch die Außenmauern und die Wachtürme erhalten sind.“ Nach einer kurzen Pause fuhr er, an Alessandro gewandt, fort: „Dabei fällt mir ein, dass ich euch im Westturm untergebracht habe, da seid ihr wenigstens ungestört. Das Haus wird bis unters Dach voll mit Gästen, und ihr habt ja bestimmt nichts dagegen, in deinem alten Zimmer zu wohnen.“
Sofort suchte Leonora alarmiert Alessandros Blick, aber Alessandro schaute nicht in ihre Richtung. Nun, jetzt war ohnehin nicht die passende Gelegenheit, Alessandro zu fragen, wie er sich ihre Übernachtungsmodalitäten vorgestellt hatte.
Nachdem sie im Haus waren, fuhr Falcon fort: „Ihr seid die ersten Gäste. Die Cocktailparty beginnt offiziell um sieben, aber Vater hat angekündigt, ab sechs Hof halten zu wollen, obwohl das bei seinem angegriffenen Gesundheitszustand sträflicher Leichtsinn ist. Ich werde wohl oder übel den Wachhund spielen müssen, damit er sich nicht zu viel zumutet.“
„Geht es ihm wirklich so schlecht, oder versucht er nur wieder einmal, uns zu manipulieren?“
Als Leonora die Bitterkeit hörte, die in Alessandros Stimme mitschwang, trat sie spontan einen Schritt näher an ihn heran. Sobald ihr bewusst wurde, was sie getan hatte, schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Warum sollte Alessandro ausgerechnet ihren Trost oder ihre Unterstützung benötigen? Und wie kam sie auf die Idee, ihm Derartiges überhaupt anzubieten?
Zum Glück schien ihm ihre spontane Parteinahme entgangen zu sein, dafür war seine Hand, mit der er ihren Arm gehalten hatte, nach unten geglitten und lag jetzt auf ihrer Hüfte.
„Sein Herz ist sehr geschwächt. Ich habe versucht ihn zu überreden, auf die Festlichkeiten zu verzichten, weil es einfach zu anstrengend für ihn ist, aber er hat sich kategorisch geweigert.“
„Und sein Wort ist Gesetz“, fügte Alessandro bissig hinzu.
„Wenn ich die Vorbereitungen nicht in die Hand genommen hätte, hätte er es selbst gemacht. Wir müssen die Verantwortung akzeptieren, die mit dem Namen Leopardi einhergeht. Das hat weniger etwas mit uns selbst oder mit unserem Vater zu tun, als mit den Menschen, die hier leben. Sie möchten, dass wir die alten Traditionen bewahren, weil es auch die ihren sind.“
Sie waren am Ende der langen Marmortreppe angelangt. Beide Männer blieben jetzt stehen und schauten sich an. Alessandro hatte seinen Arm immer noch fest um Leonoras Taille geschlungen. Und Leonora versuchte sich einzureden, dass sie machtlos dagegen war.
„Meine Güte, du klingst wirklich genauso ewiggestrig wie er. Du weißt, dass ich das völlig anders sehe“, sagte Alessandro ungehalten.
„Na klar, das ist dein gutes Recht. Du bist ein freier Mensch, der sich vor niemandem verbeugt und auch nicht erwartet, dass jemand anders das vor ihm tut. Das mag gut für dich sein, Alessandro, aber viele der Menschen, für die wir eine Verantwortung tragen, sehen das anders. Sie möchten, dass wir unser Erbe in Ehren halten und unsere Traditionen pflegen, weil sie sich dadurch selbst geehrt fühlen.“
„Sie haben es unserem Vater zu verdanken, dass sie heute noch wie im Mittelalter leben und wie Leibeigene behandelt werden. Uns hat er doch genauso unterdrückt. Ich kann und werde das nie akzeptieren, und
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