Lockruf der Finsternis
ihnen führte. »Nein, heute nicht. Ich muss wissen, ob einer von euch je in den Träumen eines Gallu gewesen ist. Wichtiger noch: Ist je ein Dream-Hunter in den Träumen von Kessar gewesen?«
Noch immer zeigte D’Alerian keinerlei Regung. »Warum sollte ein Oneroi …«
»Kein Oneroi«, unterbrach sie ihn. »Ich suche keinen, der sich den Gallu gegenüber möglicherweise hilfsbereit oder heilend gezeigt hätte. Ich brauche einen fiesen und gemeinen Skotos. Einer, der wissen könnte, wovor Kessar sich wirklich fürchtet.«
Sie sahen einander verwirrt an.
M’Adoc verschränkte die Arme vor der Brust. »Es gibt nur zwei, auf die das passen könnte: Solin oder Xypher.«
»Xypher«, sagten die anderen beiden einstimmig.
Auch M’Ordant verschränkte jetzt die Arme vor der Brust. »Obwohl er bösartig ist, steht Solin zu sehr auf Frauen und Sex. Angst erregt ihn nur, wenn es darum geht, einen Oneroi aus einem Traum hinauszuwerfen.«
D’Alerian stimmte ihm zu. »Xypher ist derjenige, der am meisten auf Furcht steht und dann erst zur vollen Entfaltung kommt – das war schon immer so. Aber er ist ein Abtrünniger, den nicht einmal wir unter Kontrolle kriegen können.«
Xypher klang genau nach dem, was Kat brauchte. »Großartig. Und wo ist er?«
»Tartarus«, sagte M’Adoc kühl. »Wir sahen uns gezwungen, ihn zu töten, und jetzt verbringt er die Ewigkeit damit, für seine Verbrechen bestraft zu werden.«
Das wurde ja immer besser. »Ihr habt ihn umgebracht?«
M’Adoc nickte. »Ich möchte noch mal darauf hinweisen, dass er ein Superabtrünniger ist. Es liegt an ihm, dass Leute Angst vor dem Einschlafen haben. Aber wenn es jemanden gibt, der weiß, wie man einem Dämon Angst einjagt, dann ist er dein Mann.«
»Ist ja reizend.« Kat legte so viel Sarkasmus in diese Worte, wie sie nur konnte. »Ich kann es kaum abwarten, ihn kennenzulernen. Würde einer von euch mich bitte rüberschicken zu Hades?«
M’Adoc machte ein finsteres Gesicht. »Kannst du da nicht selbst hin?«
»Ich habe im Moment ein bisschen wenig Saft und wäre euch mehr als dankbar, wenn ihr mir helfen würdet.«
D’Alerian schnippte mit den Fingern, und eine Sekunde später fand sich Kat an einem Ort wieder, der zu den letzten Orten gehörte, an denen sie gerne war: in der Unterwelt. Es war auf eine ganz besondere Weise gruselig, von einer Art, wo es einem eiskalt über den Rücken lief und die einen dazu brachte, dass man sich ständig umschauen wollte, um zu sehen, ob einen niemand verfolgte und fressen wollte. Alle denkbaren, abstoßenden Wesen waren hier zu Hause.
Aber es war nicht alles schlecht. Die Elysischen Felder waren wirklich schön. Sie bildeten das Paradies für die guten Seelen, die hier für alle Ewigkeit in vollkommenem Glück lebten. Wenn Xypher nur hier gewesen wäre! Stattdessen war er am schlimmsten Ort von allen: im Tartarus. Dort wurden die Bösen hingeschickt und bestraft. Es gab dort weder Licht noch Lachen, nichts Schönes oder Gutes.
Alles war dunkel und voller Schmerz. Der ganze Bezirk war voller Höhlen und Gefängniszellen, aus denen Schmerzensschreie drangen, wo um Gnade gebettelt wurde. Die Insassen waren selten in einem Zustand, in dem ihre eigenen Mütter sie noch erkannt hätten.
Die Höhlen bildeten ein verschlungenes Labyrinth. Ohne Hilfe würde Kat Xypher niemals finden können.
»Eris«, rief sie die Göttin der Zwietracht herbei – nicht gerade ihre beste Freundin. Als die beiden sich das letzte Mal gesehen hatten, hatte es in einem Krieg von Blitzen geendet, der erst zu Ende ging, als Zeus eingeschritten war und sie beide für zehn Jahre in ihre Zimmer verbannt hatte.
Eris erschien grollend vor Kat. Sie trug ein durchscheinendes schwarzes Kleid und war bleich wie ein Geist. Ihr schwarzes Haar war oben zusammengesteckt, und einige Locken fielen ihr über den Rücken bis zu den Hüften. Sie war so schön wie Aphrodite – und die böseste aller Göttinnen. »Du hast geklingelt, Schlampe?«
Kat holte tief Luft, damit sie auf diese Beleidigung nicht reagierte. Als Göttin der Zwietracht lag es in Eris’ Natur, ständig Streit vom Zaun zu brechen. »Ich muss einen Insassen finden, und ich bin sicher, dass du mich auf direktem Weg zu ihm führen kannst.«
Eris zog eine Braue hoch. »Ach tatsächlich? Und warum glaubst du das?«
Kat schaute sich an dem trostlosen Ort um. »Ich weiß, wie sehr du es liebst, Menschen zu foltern. Jedes Mal, wenn Ares jemanden ins Grab bettet, kommst du hierher, um
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