Lockruf Der Nacht
kann.«
»Ich habe mich daran gewöhnt. Ich bin viel in Hotels zu Hause. Es sei denn, ich bin hier in New York oder London. Wo fährst du hin, wenn du verreist?«
»Auf jeden Fall nicht ans Meer. Nach der Sache auf dem Boot letzte Woche wahrscheinlich nie wieder.« Yven lacht und ich stimme mit ein. »Ich mache lieber Klettertouren im Canyon oder letztes Jahr war ich im berühmten Vasari-Korridor in den Uffizien von Florenz und habe mir dort die Selbstporträts berühmter Künstler angesehen, das war so eine Sondertour für eine kleine Gruppe von Leuten. Und das Jahr davor war ich in Venedig und habe an einem privaten Maskenball teilgenommen. Das war der absolute Knaller.«
»Inwiefern?«
»Ich konnte endlich mal eines dieser uralten, ausladenden Kostüme anziehen. Wir sind dann mit einer Gondel durch die Kanäle zu einem dieser Palazzi gefahren, haben dort diniert und anschließend im Schein von Hunderten von Kerzen getanzt wie in alten Zeiten. Das war mit Abstand mein bester Urlaub«, schwärme ich.
Yven lacht. »Ich kann´s mir vorstellen. Würde mir auch gefallen.«
»Wirklich?«
»Komm mal mit.« Yven nimmt mich an die Hand und läuft mit mir die Treppe hoch in den zweiten Stock. Von einem der Zimmer geht ein großer begehbarer Kleiderschrank ab. Schrank? Nein, es ist eher ein weiteres großes Zimmer, in dem Kleider aus allen Epochen hängen. Und nicht nur Kleider, sondern auch Schuhe und jede Menge Schmuck. »Wow, das ist ja der Wahnsinn. Jeder Kostümfundus wäre da neidisch.«
»Überbleibsel von den Themenpartys meiner Mutter. Du hast ja bisher nur eine erlebt, aber wir machen mindestens vier im Jahr und eine davon ist ein Maskenball im Februar. Meine Mutter hat sie vor einem viertel Jahrhundert ins Leben gerufen und so sind sie Tradition geworden.«
»Deine Mutter war sicherlich eine ganz besondere Frau.«
»Oh ja, das war sie.« Yven senkt den Blick und ich sehe, dass er den plötzlichen Tod seiner Mutter überhaupt noch nicht verwunden hat. Wir gehen wieder nach unten auf die Terrasse, wo der Koch weiter serviert.
»Wer ist eigentlich der Älteste von Euch?«
»Mo, Payton und dann komme ich.«
»Und Mo ist der einzige, der verheiratet ist?«
»Zurzeit ja.«
»Schon lange?«
»Seit ein paar Jahren.«
Es ist das alte Lied. Man muss aus den Männern aber auch wirklich jede Information herauspressen. Warum reden sie nicht von allein, wie wir Frauen? Gut, ich gebe ja zu, wir reden eindeutig manchmal zu viel, aber ein wenig Entgegenkommen wäre schon ganz nett. Ich gehe aufs Ganze. »Irgendwie seht ihr euch alle gar nicht so ähnlich.«
»Das kommt daher, dass Mo und Payton einen anderen Vater haben.«
Da liegt also der Hund begraben. Endlich mal eine Info, die mich weiterbringt.
»Leia, ich muss in zwei Tagen nach Paris. Ich würde dich gerne einladen mitzukommen.«
Ohne Umschweife aufs Ziel. Da sind Männer wiederum sehr direkt, im Gegensatz zu uns Frauen. Ich kaue und kaue wie Gummi auf dem kleinen panierten Brokkoli herum, um Zeit für die Antwort herauszuschinden.
»Ganz unverbindlich. Du musst auch nicht gleich zusagen.«
»Ich habe noch ein paar Besichtigungen, aber zwei Tage sind sicherlich kein Problem.« Was habe ich gerade gesagt? Habe ich zugesagt? Das muss am Alkohol liegen. Yven schenkt mir wieder nach. Ich werde jetzt langsamer trinken, nicht dass ich noch andere Dummheiten sage oder mache.
Das Résumé des Abends ist durchaus positiv. Yven war wie immer ein perfekter Gastgeber. Wir haben viel gelacht und uns gut unterhalten, aber trotzdem will der Funke nicht überspringen.
Als ich nach Hause komme und die Tür aufschließe, sehe ich schon beim Eintreten, dass irgendetwas nicht stimmt. Bücher liegen auf dem Boden, zerbrochenes Glas knirscht unter meinen Sohlen und ich spüre eine andere Energie, als wäre die Ruhe in meinem Loft gestört worden. Lilith kommt mir sofort aufgeregt entgegen. »Na endlich. Wo warst du so lange? Ich hab tausend Mal versucht, dich anzurufen. Die Polizei war bis eben hier.«
»Die Polizei? Was? Wieso?«
»Hier wurde eingebrochen. Ich konnte natürlich nicht sagen, ob etwas fehlt, aber …« Lilith sieht verunsichert auf den Boden.
»Was aber?«
»Sieh es dir selbst an.« Lilly zeigt hoch zu meinem Schlafzimmer.
Was gibt es da oben schon, was für einen Dieb von Interesse sein könnte? Ohne meinen Mantel abzulegen, gehe ich nach oben. Ich habe erst die Hälfte der Treppen geschafft, als ich sehe, was Lilith gemeint hat. »Nein. Das
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