Lockruf Der Nacht
mit ihrem Mann Bob und seit dem Tod meiner Mutter telefonieren wir alle halbe Jahre miteinander. Es ist an der Zeit, sie mal wieder anzurufen.
Rose ist auch sofort am Apparat. Sie freut sich sehr von mir zu hören, fragt, wie es mir geht, was das Geschäft macht und ob ich sie nun endlich bald auf meine Hochzeit einlade. Nach ein paar Scherzen komme ich zu dem eigentlichen Grund meines Anrufes. Als ich sie nach Vera frage, ist für einen Moment Stille am anderen Ende der Leitung.
»Eigentlich habe ich schon lange darauf gewartet, dass du mich das eines Tages fragst.«
»Ach ja? Warum?«
»Weil sie die einzige Verwandte ist, die dir noch geblieben ist, Kind.«
»Geblieben ist? Ich dachte sie ist tot.«
»Für deine Mutter war sie nach dem Streit gestorben. Deine Mutter war auch gnadenlos und verzieh nichts. Ich habe es nie so richtig verstanden. Es ging ja nur um einen Mann. Und für einen Mann lohnt es sich nicht zu streiten.«
»Um welchen Mann ging es denn?«
»Er war die große Liebe deiner Mutter. Sie hat ihn verehrt, vergöttert und wollte ihn heiraten. Deine Tante war eine Schönheit, schwarze, lange Haare, ein feines, schmales Gesicht und einen schönen Körper. Sie hatte viel Ähnlichkeit mit dir.«
»Ich kann mir schon denken, wie die Geschichte endet, Rose. Sie hat ihm schöne Augen gemacht und er hat meine Mom stehen lassen.«
»Stimmt. Aber die Geschichte geht noch weiter. Sie hat ihn zwar verführt, aber er wollte zu deiner Mom zurück. Schönheit ist eben nicht immer alles. Sie fuhren auf den See hinaus und als er ihr sagte, dass Schluss ist, schubste sie ihn ins Wasser. Er konnte nicht schwimmen und ertrank.«
»Oh mein Gott. Und dann?«
»Ich habe immer gesagt, dass deine Tante mit den Schuldgefühlen nicht klarkam und deshalb verrückt wurde.«
»Inwiefern war sie denn verrückt? Was hat sie gemacht?«
»Es fing mit nächtlichen Wanderungen an, von denen sie nackt und zerschnitten mit Wunden übersät nach Hause kam. Sie sperrten sie weg, weil sie für sich und andere eine Gefahr darstellte.«
»Was meinst du mit nächtlichen Wanderungen?«
»Sie schlafwandelte und unterhielt sich mit Geistern, die sie verletzten, wie sie selbst erzählte.«
Mir wird schlecht, als Rose den letzten Satz beendet hat und ein kalter Schauder läuft mir den Rücken runter. »Und woher weißt du, dass sie noch lebt?«
»Ich hätte es erfahren, wenn es anders wäre.«
Als das Gespräch beendet ist, habe ich das Gefühl, in flüssigen Beton eingegossen zu werden. Mein Körper fühlt sich taub und tonnenschwer an. Alles sieht plötzlich anders aus. Mein Zimmer und das Licht draußen scheint auch um ein paar Nuancen dunkler geworden zu sein.
Ich betrachte mein Gesicht länger im Spiegel und suche in meinen hellgrünen Augen nach den ersten Anzeichen von Wahnsinn. Aber es ist alles unverändert, meine Augen haben noch die gleiche Farbe und sitzen an ihrem Platz.
Als Erstes werde ich morgen früh gleich den Trip mit Yven nach Paris absagen und mir einen Termin im Schlaflabor besorgen. Lilith hat so recht gehabt.
Bevor ich ins Bett gehe, verfasse ich schon mal den ersten Teil eines Briefes an Yven, in dem ich ihm erkläre, dass ich ihm keine falschen Hoffnungen machen möchte und mein Herz einem anderen gehört. Ich habe keine Lust, Spielchen zu spielen und es ist nur fair ihm die Wahrheit zu sagen.
Ich bekomme keine Luft. Jemand liegt auf mir und hält mir den Mund zu. Ich versuche mich aus seinem eisernen Griff zu befreien, aber er ist mir an Kraft und Stärke weit überlegen. Endlich habe ich unter größter Kraftanstrengung eine Hand unter der Decke herausgewunden und schlage mit der Faust unkontrolliert auf meinen Widersacher ein, als er meinen Arm zurück unter meinen Rücken biegt. Ich schreie auf, weil ich das Gefühl habe, dass mein Arm kurz davor ist, entweder auszukugeln oder zu brechen, aber das scheint ihn nicht zu interessieren. Mit einem Ruck zieht er mir die Decke weg und begrapscht mich unsittlich.
Sein Atem geht schneller und dann dreht er mich mit einer schnellen Bewegung auf den Bauch. Für einen Moment kann ich Luft holen, dann drückt er mein Gesicht in die Kissen. In meinem Mund breitet sich der Geschmack von Blut aus.
»Pass gut auf, was ich dir jetzt sage, du kleines Miststück«, zischt er mir ins Ohr. »Du wirst morgen mit Yven nach Paris fahren und ihn glücklich machen. Wenn du das nicht machst, werde ich dich umbringen. Hast du das verstanden?« Er reißt mich an meinen
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