Lockruf Der Nacht
lange nicht mehr so tief und fest und traumlos geschlafen und fühle mich erholt. »So könnte ich durch die ganze Welt reisen.«
Yven lächelt und setzt sich neben mich. »Ich bin noch nie anders geflogen. Aber ich weiß meine Unabhängigkeit trotzdem zu schätzen. Ich brauche mir nur die langen Schlangen der Passagiere bei den anderen Flügen anzusehen und bin jedes Mal dankbar für meine Position. Meine Mutter hat uns eingeschärft, nichts als gegeben und selbstverständlich zu betrachten.«
Schade, dass ich die Mutter der drei Jungs nicht mehr kennenlernen durfte, ich glaube ich hätte sie gerne gemocht.
Es ist das erste Mal, dass ich meinen Fuß auf französischen Boden setze. Yven bewegt sich weltgewandt durch den Flughafen und die behördlichen Abfertigungen. Es läuft alles wie am Schnürchen. Auch die Fahrt in einer Limousine, die uns geschmeidig durch den turbulenten und wenig entspannten Verkehr durch Paris vor das palastartige und beeindruckende Gebäude des Hotels aus dem 18. Jahrhundert fährt. Im Hotel werden Mr. Eltringham und seine Begleitung ebenfalls nicht wie Normalsterbliche behandelt, sondern direkt auf seine Suite geleitet.
Wenn ich da an meine letzten Urlaube denke: Flughafenstress, mehrfach Schlange stehen, auf einem engen Sitz stundenlang eingequetscht sitzen, bis die Beine, Hände oder sonstige Gliedmaßen einschlafen, Passkontrolle, am Gepäckband stehen, hoffen, dass das Gepäck auch mitgekommen ist, eventuell Gepäckdurchsuchung mit Ausfragung, Transport zum Zielort, meist in einem Bus mit anderen fremden Menschen, wieder Schlange stehen, dieses Mal an der Rezeption, einchecken und in einem heruntergekommenen Hotelzimmer die geschwollenen Beine hochlegen. Da gefällt mir diese Variante doch besser.
Eine Verbindungstür, die zu einer weiteren kleineren Suite führt, wird für mich geöffnet und mein Hab und Gut dort abgestellt.
»Du willst dich sicher frisch machen. Ich werde ein paar Anrufe erledigen, dann stehe ich dir ganz zur Verfügung.«
»Ich möchte dich aber nicht von deiner Arbeit abhalten, Yven. Ich kann mich auch selbst beschäftigen.«
»Ich habe alles auf Morgen verlegt. Kein Problem.«
Bevor ich protestieren kann, hat er lächelnd die Tür zugemacht, um mir meine Privatsphäre zu lassen. Wie immer ist er äußerst aufmerksam und höflich.
Nun bin ich in Paris, in der Stadt, in der liebeshungrige Menschen in Bistros sitzen, Hand in Hand am Ufer der Seine spazieren gehen oder auf einsamen Bänken im Jardin du Luxembourg sitzen und sich küssen, mit einem Mann, der sich bemüht mein Herz zu erobern, das an einen anderen vergeben ist.
Ich lasse mir eine Wanne ein, schütte herrlich duftendes Badeöl hinein und lese die beeindruckende Geschichte des Hotels. Im 18. Jahrhundert war dieser Bau wohlbemerkt das Stadthaus eines Dukes und beherbergte erst Anfang des 20. Jahrhunderts die ersten Gäste. Ich kann mir vorstellen, dass nachts der eine oder andere Geist durch die mit Läufern ausgelegten Flure wandert. Ausgelegt, damit man ihre Schritte nicht hört. Ich liebe Geistergeschichten. Außerdem lerne ich, dass Paris noch einen anderen Spitznamen trägt. Die ` Stadt des Lichts´ . Paris war die erste europäische Stadt, die 1828 die Champs-Elysées mit Gaslampen beleuchtete.
Draußen scheint die Sonne, es ist ein herrlich warmer Sommertag und ich wähle ein luftiges Kleid mit Spaghettiträgern aus.
Von Yvens Zimmer hat man Zugang auf eine gigantische Terrasse mit Blick auf den Eiffelturm. Er hat Croissants mit frisch gepresstem Orangensaft und Kaffee bestellt und wartet, ebenfalls frisch geduscht und umgezogen, auf mich. »Schön, dass du mitgekommen bist. Immer alleine zu reisen, kann auf Dauer sehr langweilig sein.«
»Das kann ich kaum glauben, Yven. Du bist ein reicher, gut aussehender junger Mann, dir müssten doch alle zu Füßen liegen.«
»Reich sein hat nicht nur Vorteile, Leia. Es bedeutet Unabhängigkeit und Freiheit auf der einen Seite, aber privat ist es kompliziert und eine adäquate Begleitung zu finden noch komplizierter.«
Je mehr Yven redet, desto unwohler fühle ich mich in meiner Haut. Auf was er mit seinen Worten anspielt, ist nicht schwer zu erraten. Ich verkörpere anscheinend die perfekte Frau für ihn.
»Ich würde dir gerne ein bisschen Paris zeigen, wenn Du möchtest.«
»Gerne.« Nichts ist besser als raus aus dem Zimmer und in Bewegung zu sein.
Yven stellt sich als der ideale persönliche Fremdenführer heraus. Er erklärt
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