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Lockruf der Vergangenheit

Lockruf der Vergangenheit

Titel: Lockruf der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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Wochen seines Lebens unter grauenvollen Kopfschmerzen.« Plötzlich blitzte eine Erinnerung auf: Ich hörte das Stöhnen eines Mannes hinter verschlossener Tür.
    »Er hat entsetzlich gelitten, Kindchen, und kein Arzt konnte ihm helfen. Wir gaben ihm die Arznei, aber es mußte jedesmal mehr sein und am Schluß half sie gar nicht mehr. Dann bekam er das Fieber und fiel ins Delirium. Ach, Kindchen, Sie sollten sich solche Erinnerungen nicht zurückwünschen. Sie sind zu traurig. Sie sind schlimm.« Aber ich hörte ihr nur mit halbem Ohr zu. So sehr ich mir gewünscht hatte, daß meine kleine List Gertrude die Zunge lösen würde, achtete ich jetzt kaum auf ihre Worte. Etwas Neues formte sich nämlich in meinen Gedanken, etwas, das ich nicht ganz greifen konnte… »Sie sind noch so jung, Kindchen! Daß Sie jetzt schon diese Kopfschmerzen haben! Ihr Vater war im besten Alter, und Ihr Großvater war alt. Ich bete zu Gott, daß die Kopfschmerzen einen anderen Grund haben. Vielleicht kommen sie vom Kummer über den Tod Ihrer Mutter…« Gertrudes Worte rauschten an meinen Ohren vorüber. Ich wußte jetzt, was für ein neuer Gedanke durch ihre ersten Bemerkungen bei mir ausgelöst worden war. Die Kopfschmerzen, die immer stärkeren Dosen Opium – das erinnerte mich an Henry. Er litt jetzt genauso wie vor zwanzig Jahren mein Vater gelitten hatte.
    Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf Gertrudes Gesicht. Ich wollte sehen, ob sie mir Theater vorspielte. Doch ihre Tränen waren echt, das sah man. Mein Vater hatte also wirklich an grauenvollen Kopfschmerzen und Fieberwahn gelitten. Dieser Teil der Geschichte war wahr, das sah ich an ihrem angstvollen Blick und ihren zitternden Händen. Mein Vater hatte in der Tat an einem unbekannten Fieber gelitten. Gertrude ging jetzt; ich wartete, bis sie an der Treppe war, ehe ich meine Zimmertür schloß. Es war vielleicht herzlos gewesen, was ich ihr angetan hatte, aber mir hatte es eine neue Erkenntnis gebracht. Mein Vater hatte offenbar tatsächlich an einer geheimnisvollen Krankheit gelitten. Gertrudes Bekümmerung war echt gewesen, und mir selbst war eine flüchtige Erinnerung an sein Leiden gekommen. In meinem Gedächtnis regte sich der Gedanke an ein verschlossenes Zimmer, das ich nicht betreten durfte, und an einen weinenden Mann hinter dieser verschlossenen Tür. Ich meinte zu spüren, daß dieser Mann mein Vater gewesen war, und ich spürte zugleich die Angst und die Verzweiflung des Kindes, das nicht zu ihm konnte. Wenn Gertrudes Anteilnahme echt gewesen, wenn meine schattenhaften Erinnerungen keine Täuschung waren, dann konnte ich daraus nur schließen, daß mein Vater vor seinem Tod tatsächlich schwer krank gewesen war.
    Doch das deutliche Gefühl, daß er an der grauenvollen Tat im Wäldchen unschuldig war, blieb. Ein Teil des Bildes fehlte, und da Gertrude, in die ich meine letzte Hoffnung gesetzt hatte, mir nicht geholfen hatte, konnte ich die letzte Antwort auf meine Fragen nur an einem Ort finden.
     
     
    Am späten Nachmittag ging ich, wie ich es geplant hatte, zum Wäldchen hinunter. Anna legte sich nach dem opulenten Mittagessen zur Ruhe, Martha saß irgendwo und stickte, Henry und Theo waren immer noch in East Wimsley. Das ganze Haus war totenstill. Nachdem ich Hut und Cape angelegt hatte, verließ ich leise mein Zimmer und huschte an den Räumen meiner Familie vorbei, um sie nicht zu stören. Der Besuch im Wäldchen würde wahrscheinlich zu einem Wendepunkt in meinem Leben werden, mir alle Erinnerungen zurückgeben und die zahllosen Fragen beantworten, die mich bedrängten. Im Wäldchen würde ich meine Kindheit wiederfinden, denn durch das Aufdecken jener einen bösen Erinnerung, würden mir auch die guten wiedergegeben werden. Im Wäldchen würde ich erfahren, wer meinen Vater und meinen Bruder getötet hatte, wer den mit Sylvias Namen gezeichneten Brief geschrieben hatte, wer die Geschichte vom Wahnsinn der Pembertons in die Welt gesetzt hatte und wer auf Pemberton Hurst mein Feind war. Das Haus war wie ausgestorben. Niemand begegnete mir. Und auch Colin fand ich nicht. Entweder hatte er unsere Verabredung vergessen oder er hatte es sich anders überlegt; ich würde also allein ins Wäldchen gehen müssen. Es störte mich nicht, da dies ja meine ursprüngliche Absicht gewesen war.
    Der Wind war wieder heftiger geworden; eisig blies er durch die Äste der Bäume und trieb dicke graue Wolken über den Himmel. In der Ferne war ein mächtiges Donnern zu hören. Am

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