Lodernde Begierde
zuletzt hier gewesen war. Damals war es ihm bereits schäbig und ungepflegt vorgekommen, und ja, auch ein wenig brüchig und vernachlässigt. Doch jetzt sah es so aus, als hätte niemand während der letzten fünfzig Jahre auch nur einen Nagel oder einen Eimer Zement darauf verwendet.
Häuser schienen rasch zu verfallen, wenn der Prozess einmal eingesetzt hatte.
Graham verschloss die Augen davor. Abbotts Berichte waren keine Übertreibungen gewesen, wie er gehofft hatte. Tatsächlich sah es für Graham danach aus, als wäre der Mann in seiner Einschätzung noch gemäßigt gewesen. Abbott glaubte immerhin, dass das Landgut zu retten war. Graham war sich da nicht so sicher.
Als er die letzten Meilen über Edencourt-Land geritten war, war der Zustand der Felder und Obstgärten sehr ernüchternd gewesen. Wenn man der Familiengeschichte glaubte, war das hier einst eine der schönsten und produktivsten Ländereien in England gewesen. Was war damit bloß passiert?
Graham starrte das Haus an, das er sein Leben lang gehasst hatte, aber nicht wegen der Steine und der Fenster und des anmutig geschwungenen Daches, sondern wegen der Leute, die darin lebten. Leute, denen er, wie es jetzt schien, ähnlicher war, als er bisher bemerkt hatte.
Er war diesem Ort zugestoßen – er, seine Brüder, sein Vater, sein Großvater und Urgroßvater. Die Cavendish-Männer spielten lieber, als dass sie arbeiteten.
Graham wendete sein Pferd und trieb es zum Galopp an. Wie in seiner Jugend konnte er nicht schnell genug reichlich Abstand zwischen sich und Edencourt bringen. Doch statt Unterdrückung und Abneigung, die ihn damals hatten fliehen lassen, war es jetzt nichts als tiefste Scham.
Achtes Kapitel
S pät am selben Abend saß Graham im Studierzimmer seines Vaters in Eden House und schloss die Augen vor den Unterlagen, die die riesige Schreibtischplatte vollkommen bedeckten. Erstaunlich! Er hatte seinen Vater an diesem gigantischen Schreitisch niemals lesen oder schreiben gesehen.
Vielleicht wäre Edencourt nicht in seiner derzeitigen miserablen Lage, wenn sein Vater diesen Raum für irgendetwas anderes als fürs Rauchen oder Trinken genutzt hätte.
Seine geschlossenen Lider konnten nicht verhindern, dass die Wörter ihm immer wieder in den Sinn kamen.
Überschwemmungen. Ernteausfall. Feuer.
Hungersnot.
Das war am schlimmsten. Die wenigen loyalen oder hilflosen Bauern, die geblieben waren, waren regelrecht am Verhungern. Er war auf seinem edlen Pferd und in seiner feinen Kleidung an den Cottages vorübergeritten, und ihm war beim Anblick der Armut und des Elends, das er dort gesehen hatte, schlecht geworden. Jedes Mal, wenn Graham an das Geld dachte, das er sorglos am Spieltisch verloren und für Wein und Frauen verprasst hatte, drehte sich ihm der Magen um. Wenn in der Vergangenheit seine Taschen leer gewesen waren und er niemand anpumpen konnte, hatte er sich Geld von seinem Vater oder seinen Brüdern geholt und nie einen Gedanken daran verschwendet, woher das Geld kam.
Er hatte Edencourt seit Jahren gemieden. Wenn er ihm einen Besuch abgestattet hatte, dann hatte er niemals auf seine Umgebung geachtet, sondern das Haus bloß wegen seiner Schäbigkeit verachtet. Er war ein egoistischer Idiot gewesen und hatte lediglich erleichtert durchgeatmet, wenn er ihm den Rücken gekehrt hatte.
Sein Vater hatte die Verantwortung für Edencourt zu tragen, aber er hätte seinen Vater gut genug kennen sollen, um zu wissen, dass er die Herausforderung nicht annahm. Ich wollte es nicht wissen, ich wollte mich bloß amüsieren.
Was ihn um keinen Deut besser machte als den alten Herzog, vielleicht sogar schlechter, denn er war klüger und fähiger.
Sophie, du hattest so sehr recht, was mich betraf.
Bedauern fraß an seiner Seele, aber er wusste, dass er sich nicht zu viel Zeit für seine Selbstkasteiungen lassen durfte. War das nicht auch nur eine andere Art des Egoismus? Verschwendete er damit nicht wieder seine Energie nur auf sich selbst?
Er hob den Kopf aus den Händen, als Nichols einen Besucher ankündigte. »Zu dieser Stunde?«
Nichols bedachte ihn mit einem sauertöpfischen Blick, der wohl besagen sollte, dass alle Welt noch auf sein konnte, wenn er, Nichols, noch auf sein musste, um seinem gedankenlosen Herrn zu dienen.
Der arme alte Nichols hatte die Übergabe des Edencourt-Stabes überhaupt nicht gut verwunden. Graham hatte gehofft, der Mann würde sich zur Ruhe setzen – obwohl er ihm nicht einmal eine Pension zahlen konnte
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