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Löcher: Die Geheimnisse von Green Lake (Gulliver) (German Edition)

Löcher: Die Geheimnisse von Green Lake (Gulliver) (German Edition)

Titel: Löcher: Die Geheimnisse von Green Lake (Gulliver) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Sachar
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ab.
    »Wir haben uns immer alles genommen, was wir brauchten«, fuhr Zero fort. »Als ich noch klein war, wusste ich nicht mal, dass das Stehlen war. Ich weiß nicht mehr, wann ich das rausgefunden habe. Aber wir haben immer nur das genommen, was wir brauchten, mehr nicht. Als ich dann die Schuhe ausgestellt sah im Heim, da hab ich eben einfach in die Vitrine gegriffen und sie mir genommen.«
    »Die von Clyde Livingston?«, fragte Stanley.
    »Ich wusste ja nicht, dass es seine waren. Ich dachte einfach, es wären alte Schuhe von irgendjemand. Es war ja auch besser, gebrauchte Schuhe wegzunehmen als ein Paar neue zu klauen. Es stand ein Schild dran, aber das konnte ich natürlich nicht lesen. Und kurz darauf gab es einen Riesenaufstand, weil die Schuhe weg waren. Irgendwie war es direkt komisch. Das ganze Heim spielte verrückt. Ich lief da rum mit den Schuhen an den Füßen und alles rannte hin und her und fragte: ›Was ist mit den Schuhen passiert?‹ ›Die Schuhe sind weg!‹ Ich bin einfach rausgegangen. Keiner hat auf mich geachtet. Als ich draußen war, bin ich um die nächste Ecke gegangen und hab die Schuhe gleich wieder ausgezogen. Ich hab sie auf dem Dach von einem geparkten Auto abgestellt. Ich weiß noch, dass sie furchtbar gestunken haben.«
    Ja, das waren sie«, sagte Stanley. »Haben sie dir denn gepasst?«
    »So einigermaßen.«
    Stanley erinnerte sich, wie überrascht er gewesen war, dass Clyde Livingston so kleine Füße hatte. Stanleys Schuhe waren größer. Clyde Livingston hatte kleine, schnelle Füße. Stanleys Füße waren groß und langsam.
    »Ich hätte sie einfach behalten sollen«, meinte Zero. »Ich hatte es ja schon geschafft, aus dem Heim zu verschwinden und alles. Am nächsten Tag haben sie mich dann verhaftet, als ich mit einem neuen Paar Turnschuhe aus einem Schuhgeschäft kam. Wenn ich diese alten Dinger einfach behalten hätte, dann wäre keiner von uns jetzt hier.«

42
    Zero war wieder kräftig genug, um zu graben. Als er aufhörte, war das Loch über sechs Fuß tief. Er legte Steine auf den Boden, um Sand und Wasser zu trennen.
    Er war immer noch weit und breit derjenige, der am besten graben konnte.
    »Das ist das letzte Loch, das ich im Leben gegraben habe«, sagte er und warf die Schaufel hin.
    Stanley grinste. Er wünschte, dass es so wäre, aber er wusste, dass sie keine andere Wahl hatten, als irgendwann nach Camp Green Lake zurückzukehren. Sie konnten ja nicht für alle Zeit von Zwiebeln leben.
    Auf der Suche nach Schatten hatten sie den Großen Daumen nach und nach einmal komplett umrundet. Er war wie der Zeiger einer riesigen Sonnenuhr.
    Sie hatten einen freien Blick in alle Richtungen. Es gab nichts, wo sie hätten hingehen können. Der Berg stand inmitten einer Wüste.
    Zero starrte den Großen Daumen an. »Da drinnen muss irgendwo ein Loch sein«, sagte er, »ein Loch mit Wasser.«
    »Glaubst du?«
    »Wo soll das Wasser sonst herkommen?«, fragte Zero. »Wasser läuft doch nicht bergauf.«
    Stanley biss in eine Zwiebel. Er spürte kein Brennen in den Augen oder in der Nase, eigentlich fand er nicht einmal mehr den Geschmack besonders intensiv.
    Er erinnerte sich an den bitteren Geruch, der in der Luft gelegen hatte, als er Zero den Berg hinaufgetragen hatte. Es war der Geruch von Tausenden von Zwiebeln gewesen – wachsenden, faulenden, keimenden.
    Jetzt roch er gar nichts mehr.
    »Was meinst du wohl, wie viele Zwiebeln wir gegessen haben?«, fragte er.
    Zero zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht mal, wie lange wir eigentlich schon hier sind.«
    »Schätzungsweise eine Woche«, sagte Stanley. »Und ich würde sagen, dass jeder von uns am Tag so an die zwanzig Zwiebeln isst, das macht ...«
    »Zweihundertachtzig Zwiebeln«, sagte Zero.
    Stanley grinste. »Ich wette, wir beide stinken nicht schlecht.«
    Zwei Nächte später lag Stanley wach und starrte in den Himmel, der übersät war mit Sternen. Er war zu glücklich, um einzuschlafen.
    Er wusste, dass er keinen Grund hatte, glücklich zu sein. Irgendwo hatte er mal gehört oder gelesen, dass es Menschen, die erfrieren, kurz vor dem Tod mit einem Mal ganz warm und wohlig wird. Er fragte sich, ob er vielleicht gerade dasselbe erlebte.
    Es kam ihm in den Sinn, dass er sich nicht erinnern konnte, wann er das letzte Mal glücklich gewesen war. Es war ja nicht so, dass sein Leben erst so jammervoll geworden war, als er nach Camp Green Lake kam. Er war ja schon vorher unglücklich gewesen, als er noch zur Schule ging,

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