Löwenherz. Im Auftrag des Königs
den vergangenen Monaten eine so fremdartige Regung, dass es zu einem Weinen wurde. Edith schluchzte vor Erleichterung.
Robert rollte mit den Augen. »Weiber!«, seufzte er.
27
D er Überfall erfolgte, als sie die Außenbereiche des Barnsdale Forest wieder erreicht hatten. Ein Schatten schwang sich von einem Baum, brüllte dabei: »Aaaaaaargh!«, plumpste hinter dem König auf den Rücken seines Pferdes und hob einen Knüppel über den Kopf. Das Pferd tat einen Satz, bei dem der König nicht einmal die Haltung veränderte, und der Angreifer flog in hohem Bogen herunter und knallte auf die Straße. Er rappelte sich sofort wieder auf, starrte einen Lidschlag lang betroffen auf den Knüppel, der in seinen Händen zerbrochen war. Dann richtete er den nutzlosen Rest auf den König und schrie: »Gebt Lady Edith sofort frei oder Ihr bekommt es mit mir zu tun!«
König Richard hob eine Hand, als seine Ritter auf den Angreifer losgehen wollten. »Sir Loxley, vermute ich?«
Johnny Greenleaf stierte den König an, dann ging ihm auf, mit wem er es nun schon zum zweiten Mal zu tun hatte.
»Oh Kacke!«, stöhnte er und sank auf die Knie.
»Als ich Eure Freilassung aus dem Turm anordnete, Sir Loxley, dachte ich nicht, dass Ihr es mir so vergelten würdet.« Richard grinste übers ganze Gesicht.
»Ich bin nicht Sir Loxley«, sagte Johnny in Richtung Boden. Er wagte es nicht, den Blick nochmals zu heben.
»Es hieß, Ihr wäret es. Und ich habe mich so gefreut, endlich den geheimnisvollsten Lord Englands kennenzulernen, den niemand je zu Gesicht bekommen hat.«
»Ich bin John Millers Sohn, Johnny Greenleaf«, murmelte Johnny.
Nun schien Richard doch überrascht. Edith mischte sich ein. »Er ist unser Freund, Euer Gnaden.«
»Er ist Euer Freund, Lady Edith. Er hat nun schon zum zweiten Mal versucht, Euch zu retten.«
Edith und Johnny räusperten sich gleichermaßen verlegen.
»In den Zeiten des großen König Arthur«, sagte Richard, »genügte eine gerettete Jungfrau, um einem Ritter einen Platz an der Tafelrunde zu sichern. Ihr habt dieselbe Jungfrau bereits zweimal gerettet, John Greenleaf.« Der König zwinkerte Edith zu. »Dass sie gar nicht mehr in Gefahr war, spielt keine Rolle.«
Johnny sagte etwas, das sich wie »Grmblmmbl« anhörte.
»Setzt Euch zu Lord Robert aufs Pferd, grüner Ritter John Greenleaf«, sagte Richard lachend. »Eure Dame hat einen Auftrag für Euch.«
Johnny blickte hoffnungsvoll von Richard zu Edith und zurück. »Was soll ich tun?«
»Sultan Saladin besiegen und Lord Wilfrid de Kyme aus den Klauen des Teufels befreien, Sir John.«
»Kein Problem«, sagte Johnny, schon wieder halb sein großspuriges Selbst. Dann weiteten sich seine Augen. »Waaas?«
ZWEITER TEIL
DIE GUTEN UND DIE GERECHTEN
HERBST 1189
1
E dith hatte sich Frankreich, die eigentliche Heimat Richards, bunt und sonnig vorgestellt. Aber es schien, als herrschte auf dem Kontinent dieselbe graue Gewitterstimmung wie in Ediths Herzen. Sie fürchtete, dass die Befreiung ihres Vaters misslingen könnte oder, schlimmer noch, dass sie zu spät kommen würden und er in der Gefangenschaft bereits verstorben war. Außerdem nährte sie eine geheime Sehnsucht nach Richard. Und diese machte sie umso verzweifelter, als sie gar nicht wünschen durfte , ihn wiederzusehen. Denn dann würde vielleicht Bridas Prophezeiung wahr werden und sie, Edith, würde dem König gegen ihren Willen den Tod bringen. Doch die Aussicht, für immer von ihm getrennt zu sein, erfüllte sie mit tiefer Traurigkeit.
Sie hatten sich mehrmals gesehen in London, während ihre Reise vorbereitet worden war. Allerdings waren sie nie miteinander allein gewesen, immer waren zumindest Robert, Johnny und der Kanzler Guilhelm de Longchamp mit dabei gewesen. Nun lag der Abschied seit drei Wochen hinter ihnen. Auf der Überfahrt von England nach Frankreich hätte sie sich am liebsten irgendwo unter Deck zusammengerollt und geweint. Aber sie hatte bald Ablenkung bekommen: Kaum hatte das Schiff im Hafen Melcombe in Dorset abgelegt, war Johnny seekrank geworden. Edith hatte sich bis zu ihrer Ankunft in Cherbourg um ihn gekümmert.
Hier in Frankreich waren sie von normannischen Händlern erwartet worden, bei denen man sie als Kinder eines englischen Kaufmanns eingeführt hatte, der seine Familie nach Marseille holen wolle.
In Marseille, so hatte Richard angekündigt, würde ein Schiff auf sie warten, das sie ins Heilige Land bringen würde. Da ihre Ankunft dort in den Herbst
Weitere Kostenlose Bücher