Löwenherz. Im Auftrag des Königs
Kutte eines Mönchs! Des Mönchs, den er getötet hatte! Es stimmte also, er, Sire Guy, war tot! Und er war in der Hölle, wo die Geister der erschlagenen Feinde auf einen warteten. Vor lauter Entsetzen konnte er nicht einmal schreien.
»Wo sind die Kinder?«, fragte der Geist.
Sire Guy blubberte etwas. Ohne sein willentliches Zutun deutete sein Arm in irgendeine Richtung.
Er spürte einen Ruck. Hätte in seinem Hirn weniger Panik geherrscht, hätte er gewusst, dass die Besatzung des fremden Schiffs das Beiboot mit Schiffshaken neben ihrem eigenen Rumpf hergeschleppt hatte und jetzt wieder freigab.
Das fremde Schiff glitt davon, in die Nacht hinein. Im Schimmer des Sternenlichts auf dem Wasser schien es zu schweben, dann verschwand es in der Dunkelheit eines Wellentals. Sire Guy starrte zitternd ins Leere.
Jemand neben ihm ächzte und richtete sich auf. Erst jetzt wurde ihm wieder bewusst, dass er zusammen mit den anderen im Boot lag.
»Was war das?«, brummte Hugo. »War das ’n Schiff?«
Sire Guy platzte mit seiner Beobachtung heraus. Er war am Ende mit den Nerven und hätte in seinem Zustand sogar dem Sheriff gebeichtet, wie ihm zumute war. Als er seine Schicksalsgefährten erblickt hatte, war ihm aufgegangen, dass er doch nicht tot war, wenngleich er sich jetzt sehnlichst wünschte, es zu sein.
»Ah!«, machte Hugo. »Zum Teufel! Das muss Edgars Kahn gewesen sein. Hab ich’s mir doch gedacht, dass er irgendwie in dieser Sache drinsteckt und dass es sein Segel war, das wir die ganze Zeit hinter uns gesehen haben. Na, mit viel Glück kommt er noch rechtzeitig, um ein paar Trümmerstücke der LÖWENHERZ aufzufischen. Diesen Sturm haben die drei Kinder auf keinen Fall überstanden. Die Behälter mit dem Wasser und den Tranfässern drin waren eins der Gegengewichte zur Bugladung. Wenn sie leer sind, ist die LÖWENHERZ kopflastig. Bei der ersten großen Welle, die von Heck kam, ist sie abgesoffen.« Er grinste böse, dann ging ihm auf, wovon er sprach. Er ließ den Kopf hängen und seufzte voller Trauer. »Mein schönes Schiff!«
Jemand stieß Hugo in die Seite. Er sah auf und Sire Guy folgte seinem Blick. Ein bizarrer Schatten glitt über das Wasser.
»Mist!«, sagte Hugo. »Edgar kommt zurück. Jetzt müssen wir dem Halunken auch noch dankbar dafür sein, dass er uns rettet.«
Sire Guy starrte dem näher kommenden Schiff wie gelähmt entgegen. Der Mönch kehrte wieder! Da war er auch schon an der Reling, sein Gesicht verschattet unter der Kapuze. Neben ihm stand ein Mann mit einer Tranfunzel.
»Ich wollte Euch alle zur Hölle fahren lassen, Sire Guy«, sagte der Mönch, »aber dann ist mir klar geworden, dass jemand, der mir viel bedeutet, dann sehr traurig wäre. Er würde sich nämlich ewig Vorwürfe machen, wenn ich Euch auf dem Meer verrecken ließe wie einen Hund. Nehmt sie an die Leine, Meister Edgar. Wir schleppen sie hinterher!«
13
A uch Edith hatte lange Zeit gedacht, dass sie sterben würden. Der Wind war scheinbar von allen Seiten zugleich gekommen und hatte die LÖWENHERZ immer wieder so tief über die Seite rollen lassen, dass sie sich hatten irgendwo festhalten müssen, um nicht hilflos über das Deck zu schlittern. Eines der Wasserfässer hatte sich losgerissen und war gespenstisch lautlos auf dem von Brechern überspülten Deck herumgerutscht, bis eine besonders heftige Bö die LÖWENHERZ sich so weit hatte neigen lassen, dass das Fass durch die Reling gebrochen und im Brodeln des Meers verschwunden war. Robert und Johnny hatten schließlich verzweifelt die Taue durchgehackt, die das Segel hielten. Es hatte noch ein paar Herzschläge lang wild herumgeflattert und das Schiff zusätzlich destabilisiert. Dann hatte es sich losgerissen und die LÖWENHERZ hatte sich beruhigt. Nun waren sie den Wellen und den miteinander streitenden Strömungen hilflos ausgeliefert gewesen, aber das war immer noch besser, als zu kentern. Ohne das Segel hatte die LÖWENHERZ in seltsamen Kreisfiguren über das Wasser getanzt, aber sie hatte tief und fast ruhig darin gelegen. Meister Hugo und seine Männer hatten das Schiff exzellent beladen gehabt.
Und das viele Wasser, das ins Schiff geschlagen und ins Untergedeck geströmt ist, hat ein Übriges getan , dachte Edith. Als ihnen klar geworden war, wie viel Wasser die LÖWENHERZ geschöpft hatte, war es schon zu spät gewesen, etwas dagegen zu unternehmen. Nun, angesichts eines strahlenden Morgens, an dem die LÖWENHERZ immer noch aufrecht im Meer schwamm,
Weitere Kostenlose Bücher