Lohse, Eckart
erdreistet sich vielmehr, von Hamburg aus Zweifel zu
streuen, ob die anderen Mitglieder der Bundesregierung ihrer Verantwortung
gerecht würden. Nach der Ankündigung, grundsätzlich zu werden, sagt Guttenberg,
er habe sich »heute« entschlossen, seiner Rede »noch ein Teil (sie!)«
hinzuzufügen. Offenbar hat der generell zum Spontanen neigende CSU-Politiker
kurzfristig den Eindruck gewonnen, dass der Moment günstig sei, seine politische
Umwelt mit der Infragestellung der Wehrpflicht zu konfrontieren. Ob seine
Entscheidung wirklich erst »heute« gefallen ist, darf bezweifelt werden, denn
die Rede führt systematisch auf das Thema hin.
Die Finanz- und die anschließende
Wirtschaftskrise hat auch die deutschen Haushaltsplanungen durcheinandergewirbelt.
Alle Ressorts, mit Ausnahme des Bildungsministeriums, müssen sparen.
Eineinhalb Wochen später steht eine Sparklausur des Kabinetts an, in der jedes
Ressort Unerfreuliches zu gewärtigen hat. Eine solche Lage verleite
üblicherweise dazu, dass man die Dinge »abgeschwächt und etwas verschwurbelt«
darstelle, um niemandem auf die Füße zu treten, bereitet Guttenberg seine
Breitseite gegen den Rest des Kabinetts vor. Er ist aber natürlich ganz anders,
verkündet heroisch die Bereitschaft, die Dinge offen anzusprechen, und: »Den
offenen Diskurs zu suchen und möglicherweise auch mit dem Blick auf andere
Kabinettsmitglieder und auf die gesamte Bundesregierung vielleicht ein
Beispiel dahingehend zu setzen, dass man auch seiner Verantwortung versucht
gerecht zu werden.«
Als seinen Zeugen ruft der junge
Minister Gerhard Johann David von Scharnhorst auf. Wer nie etwas tue, was die
Natur der Sache erfordere, aber in der eigenen Laufbahn noch nicht vorgekommen
sei, wage vielleicht nie eine kühne Idee, zitiert Guttenberg jenen General und
Heeresreformer, der in Preußen die allgemeine Wehrpflicht begründete. Je
klarer im Verlauf der Rede wird, dass Guttenberg der Wehrpflicht das Licht
ausblasen will, desto deutlicher wird zugleich, dass er sich als die Antwort
auf Scharnhorst sieht. Einen Mangel an Kühnheit und Selbstbewusstsein kann man
ihm nicht vorwerfen. Da ist das Vergil-Zitat »mens agitat molem« (Der Geist bewegt
die Materie) nur noch eine rhetorische Nachspeise.
Noch bevor also das erste
inhaltliche Wort gesprochen ist, hat der Redner klargestellt: Hier ist endlich
mal einer, der seiner Verantwortung gerecht wird. Guttenberg distanziert sich
von denjenigen, mit denen er von Berlin aus das Land regiert. Das tut er gern,
wenn er außerhalb der Hauptstadt redet. Er macht sich gemein mit seinem
Auditorium, seien es Offiziere in Hamburg an der Führungsakademie, sei es die
bayerische Landbevölkerung im Bierzelt bei München. Er vermittelt seinem
Publikum die Botschaft, er passe schon auf, dass in Berlin nicht allzu viel
Unfug angestellt werde. Wenn er von der Berliner Politik spricht, benutzt er
gern Ausdrücke wie »Zirkus« oder »Affen«.
So also steht Guttenberg an jenem
Mittwoch, dem 26. Mai 2010, vor den Soldaten
der Führungsakademie, beteuert, er lasse sich als Verteidigungsminister vom
Prinzip »Klarheit und Wahrheit« leiten, und sagt dann Sätze wie diesen: »In einer
Gesellschaft, in der Selbstverwirklichung, Kulturvergessenheit gelegentlich
und Konsum großgeschrieben, Solidarität, Dienst am Allgemeinwohl und
Vaterlandsliebe gerade mit Blick auf den Soldatenberuf für nicht wenige indes
fremde, für manche verstörende Vokabeln sind, ist dieser Diskurs, dieses Suchen
nach Antworten, keine Selbstverständlichkeit.«
Scharnhorst? Dienst am
Allgemeinwohl? Vaterlandsliebe? Spricht so jemand, der die Wehrpflicht
abschaffen will? Guttenberg nähert sich seinem Thema in weitem Bogen. Er beschreibt,
dass die 250000 Mann starke Bundeswehr schon mit
dem Einsatz von 8000 Soldaten im Ausland überfordert
und die Leistungsfähigkeit der Truppe mit den derzeitigen Strukturen nicht zu
gewährleisten sei. Dann kommt er aufs Geld zu sprechen und auf den »absehbaren
finanzpolitischen Canossagang« der Bundesregierung. Er kündigt Einschnitte bei
den Fähigkeiten der Bundeswehr an, bei Betrieb und Strukturen, aber auch bei
den Umfangen. Klar ist also: Die Bundeswehr wird schrumpfen. Guttenberg spricht
von einer »dramatisch verschärften Ausgangslage« bei den Finanzen. Jedenfalls
lässt der Bundesminister der Verteidigung keinen Zweifel daran, dass der
Finanzrahmen über Umfang und Struktur der Bundeswehr entscheiden wird: »Der
mittelfristig höchste
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