Lola Bensky
Capes herab. Er sah aus wie ein kapriziöser Prinz aus dem tschechischen Hinterland. Nach der Hälfte des ersten Songs wirkte Keith Moon, der Drummer von The Who, bereits wie ein Wahnsinniger. Er schüttelte den Kopf wild zur Musik, den Mund zu einem großen O aufgerissen, sein Gesicht war nur noch verschwommen zu erkennen, und seine Haare flogen. Lola hatte keine Ahnung, wie sein Kopf dieses ganze Schütteln und Nicken und Herumwerfen überstand.
»Und so endet alles«, sagte John Entwistle, der Bassist, ins Mikro, dann fiel die Band in den Song »My Generation«
mit seinem stotternden, stammelnden, wütend repetitiven Text. »Hope I die before I get old«, sang Roger Daltrey wieder und wieder und begann, das Mikrofon mit der Hand wie ein Lasso über seinem Kopf herumzuschleudern. Und Pete Townshend fing an, mit seiner Gitarre auf den Mikrofonständer einzuprügeln. Pete Townshend wurde immer frenetischer. Er holte aus und drosch seine Gitarre mehrmals auf den Boden. Lola sah, dass ein paar junge Männer im Publikum besorgt wirkten. Pete Townshend schmetterte seine Gitarre nach wie vor in alles, was ihm unter die Augen kam. Der Rest der Band spielte weiter. Ein nervöser Bühnenarbeiter rannte kurz auf die Bühne und schnappte sich ein Mikrofon und einen Mikrofonständer. Immer mehr Gitarrenteile flogen durch die Luft. Roger Daltrey wirbelte und wirbelte mit wehendem, fransengesäumtem Cape um seine eigene Achse, bis Pete Townshend von der Bühne abging. Sofort hielt auch Roger Daltrey inne und folgte ihm wie ein gehorsamer jüngerer Bruder.
Keith Moon trommelte noch eine halbe Minute weiter, dann trat er das Schlagzeug mit dem Fuß um. Die Bühne war voller Rauch von einer Rauchbombe, die Pete Townshend gezündet hatte. Es sah aus, als wäre ein Verstärker explodiert. Das Zerschmettern, Zerstören und Zertrümmern war mit bemerkenswerter Distanziertheit über die Bühne gegangen – ohne Wut, ohne Leidenschaft, ohne Empörung, ohne Gefühl und, wie Lola fand, ohne Bedeutung. Lola hatte The Who schon früher spielen sehen und sich jedes Mal verständnislos gefragt, was das sollte.
Sie fand, die Band mache einen Fehler, John Entwistle ans Mikrofon treten und seine Ansage machen zu lassen. Und so endet alles – nicht gerade ein originelles Ende, dachte sie. Bestand das Ende wirklich aus einer zerbrochenen Gitarre und ein paar Beulen im Schlagzeug? Für Menschen, die wirkliche Enden kannten, würde das wie Theater wirken. Lola empfand dieses Statement, das zweifellos unheimlich und bedrohlich wirken sollte, einfach nur als prätentiös.
Lola hoffte, dass sie nicht deshalb so negativ auf The Who reagierte, weil Pete Townshend so grob zu ihr gewesen war. Eigentlich glaubte sie aber nicht, dass das der Fall war. Die Distanziertheit und Sterilität ihrer Aggression war ärgerlich. »In England sind sie mit ihren Verwüstungen schon in einer Sackgasse gelandet«, hörte Lola Brian Jones zu jemandem sagen. Das war die Art von Zitat, die sie sich von Brian Jones erhofft hatte.
Lola beschloss, The Grateful Dead auszulassen. Ein kurzer Spaziergang, dachte sie, würde ihr guttun. Sie musste einen klaren Kopf bekommen. Sie ging zum Stand von Temple Beth El und kaufte sich ein Pastrami-Sandwich. Sie hatte vor Monterey noch nie Pastrami gegessen, stark gewürztes, geräuchertes, dünn geschnittenes Rindfleisch. In den jüdischen Delika
tessenläden in New York, in denen sie gewesen war, gab es überall heiße Pastrami-Sandwiches. In Melbourne war ihr Pastrami nirgendwo begegnet.
Lola betrachtete ihr Sandwich. Es war groß. Sie schätzte, dass es mit fünfzehn bis zwanzig Pastramischeiben belegt war. Sie waren hauchdünn, aber zahlreich. Vermutlich enthielt dieses Sandwich mehr als fünfhundert Kalorien. So viel wie fünf oder sechs Äpfel. Oder fünf oder sechs hartgekochte Eier. Oder hundertzwanzig Gramm Schokolade.
Lola war rechtzeitig zu Jimi Hendrix wieder zurück. Brian Jones wirkte munter und hatte einen klaren Blick, als er Jimi Hendrix als den »aufregendsten Gitarristen, den ich je gehört habe«, ankündigte. Jimi Hendrix trat auf die Bühne. Er lächelte und schien sich zu freuen. Er trug eine knallenge rote Hose und ein leuchtend gelbes Hemd mit Rüschen an der Knopfleiste und an den Manschetten. Dazu einen Metallgürtel, an dessen Schließe ein Medaillon baumelte, und um die Taille einen leuchtend bunten Schal. Über dem gelben Hemd trug er eine schwarz-weiße Weste. Irgendwie ging diese Kombination auf,
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