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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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hochachtbare Jungfer. Dort würden wir eine gute Privatschule für Dolly ausfindig machen. O listenreicher Humber-teus!
    Zur Unterrichtung von Leslie und Louise, die John und Jean davon berichten mochten (und es auch taten), führte ich ein ungeheuer lautes Ferngespräch, bei dem ich eine Unterhaltung mit Shirley Holmes vortäuschte, Als John und Jean wiederkamen, leitete ich sie mühelos in die Irre mit der entgeistert und verwirrt gestotterten Nachricht, Lo sei mit der mittleren Gruppe auf einer fünftägigen Wanderung und nicht zu erreichen.
    «Gütiger Himmel», sagte Jean, «was machen wir da?»
    John sagte, es sei einfach - er werde die Polizei von Climax beauftragen, die Wanderer ausfindig zu machen - sie würde keine Stunde dazu brauchen. Übrigens sei ihm selber die Gegend bekannt und ...
    «Hören Sie», fuhr er fort, «warum sollte ich nicht jetzt gleich hinfahren, und Sie können mit Jean schlafen ...» (in Wirklichkeit setzte er das nicht hinzu, aber Jean unterstützte sein Angebot so leidenschaftlich, daß es mitgemeint zu sein schien).
    Ich spielte hysterisch. Ich flehte John an, nichts zu unternehmen. Ich sagte, ich würde es momentan nicht verkraften, das schluchzende Kind um mich zu haben, es würde sich an mich klammern, es sei so ein Sensibel-chen, das Erlebnis könne sich schlecht auf seine Zukunft auswirken, Nervenärzte hätten solche Fälle analysiert. Plötzlich trat eine Pause ein.
    «Na schön», sagte John etwas schroff, «die Ents cheidung liegt bei Ihnen. Aber schließlich war ich Charlottes Freund und Berater. Man wüßte sowieso gern, was Sie mit dem Kind vorhaben.»
    «John», rief Jean, «sie ist sein Kind, nicht Harold Hazes. Verstehst du denn nicht? Humbert ist Dollys richtiger Vater.»
    «Ich verstehe», sagte John. «Tut mir leid. Ich verstehe. Ich hatte es nicht begriffen. Das vereinfacht die Sache natürlich. Und was immer Ihr Herz Ihnen sagt, ist richtig.»
    Der tiefbekümmerte Vater fuhr fort, er werde sein zartes Töchterlein gleich nach dem Begräbnis abholen und alles tun, um ihr in einer völlig neuen Umgebung - vielleicht durch eine Fahrt nach Neu-Mexiko oder Kalifornien - etwas Freude zu machen, vorausgesetzt natürlich, daß er selber am Leben bleibe.
    So kunstvoll spielte ich die Ruhe äußerster Verzweiflung, das Schweigen vor irgendeinem wahnsinnigen Ausbruch, daß die vorbildlichen Farlows mich in ihr Haus überführten. Sie hatten einen für 'amerikanische Verhältnisse nicht üblen Weinkeller, und das half, denn ich fürchtete Schlaflosigkeit und eine Geistererscheinung.
    Jetzt muß ich meine Gründe dafür nennen, daß ich Dolores fernhielt. Zuerst natürlich, als Charlotte gerade liquidiert war und ich als lediger Vater das Haus wieder betrat und die zwei Whisky-Sodas hinuntergoß, die ich zubereitet hatte, und zwei oder drei «Ginananas» hinterher, und ins Badezimmer ging, um den Nachbarn und Freunden zu entkommen, war nur eines in meinen Gedanken und meinem Blut - das Bewußtsein, daß Lolita, warm, braunhaarig und mein, mein, mein, in wenigen Stunden in meinen Armen wäre, Tränen vergießend, die ich schneller, als sie quellen konnten, wegküssen würde, Aber als ich stieren Blicks und roten Gesichts so vor dem Spiegel stand, klopfte John Farlow sacht an die Tür und fragte, ob mir auch wohl sei - und ich begriff augenblicklich, daß es Wahnsinn von mir wäre, sie ins Haus zu nehmen zu all diesen übereifrigen Dritten, die herumquirlten und Ränke schmiedeten, sie mir wegzunehmen. Ja, die unberechenbare Lo selber konnte - wer weiß? - irgendein närrisches Mißtrauen gegen mich an den Tag legen, eine plötzliche Abneigung, unbestimmte Furcht oder etwas Derartiges, und im Augenblick des Triumphs wäre das durch Zauber Gewonnene verloren.
    Da ich von übereifrigen Dritten spreche: Ich bekam einen zweiten Besuch - Freund Beale, der Kerl, der meine Frau liquidiert hatte. Feist und feierlich, sah er mit seinen Bulldoggenbacken, seinen kleinen schwarzen Augen, seiner dickgeränderten Brille und seinen auffallend großen Nüstern wie eine Art Scharfrichtergehilfe aus, als John ihn hereinführte, mit vollendetem Takt die Tür schloß und uns allein ließ. Mit der verbindlichen Bemerkung, er habe Zwillinge in der Klasse meiner Stieftochter, entrollte mein grotesker Besucher ein großes Diagramm, das er von dem Unfall angefertigt hatte. Es war, wie meine Stieftochter gesagt hätte, «eine Wucht», mit allerlei eindrucksvollen Pfeilen und Punktlinien in

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