London Killing - Harris, O: London Killing - Belsey Bottoms Out
mit Blut verschmierten Augen waren nur wenige Zentimeter von Belseys Gesicht entfernt. Sie schaute ihn an. Er presste beide Hände auf die Wunde in ihrer Brust. Und während er gegen jede Wahrscheinlichkeit versuchte, den Blutstrom zu stoppen, dachte er: Das waren Hohlspitzgeschosse, so wie die Wunden aussehen. Und: Wer läuft mit einem Präzisionsgewehr und Hohlspitzgeschossen in Hampstead herum?
»Nicht sprechen.«
Sie versuchte zu sprechen. Mit einer Hand tastete sie auf dem Boden herum, bekam einen Stapel Pappbecher zwischen die Finger und drückte fest zu. Dann öffnete sie wieder den Mund, eine dickflüssige Blutblase bildete sich auf ihren Lippen und zerplatzte. Sie schloss die Augen. Das Blut tropf te von ihrem Kinn, und Belsey dachte: Musste er jetzt ein Sak rament erteilen? Das für einen Polizisten übliche Ritual vollziehen: Sie haben das Recht zu schweigen …?
Als sie tot war, nahm Belsey ihr die Pappbecher aus der Hand, rührte aber sonst nichts an. Das war Sache der Forensiker.
Vom Telefon des Starbucks aus rief er in der Leitstelle an.
»Schießerei im Starbucks South End Green, Detective Constable Nick Belsey vor Ort. Fordere umgehend Unterstützung an. Ein Toter, mindestens ein Verletzter.«
»Ist der Tatort sicher?«, fragte die Leitstelle.
»Ich glaube ja.«
Das Heulen der Sirenen der aus Hampstead, Kentish Town, Camden und Highgate heranrasenden Fahrzeuge erfüllte die Luft. Doch für den Augenblick gehörte der Tatort noch ihm. Passanten starrten das zersplitterte Schaufenster an. Er griff sich zwei junge Burschen, die direkt vor dem Starbucks standen, und wies sie an, dafür zu sorgen, dass die Passanten auf der anderen Seite des Platzes blieben. Dann wandte sich Belsey an einen Mann im Blaumann, einen Anzugträger und eine Frau im Jogginganzug.
»Halten Sie den Verkehr auf«, sagte er. »Sie, gehen Sie in die Pond Street.« Er wandte sich an die Joggerin. »Sie postieren sich in der Keats Grove und Sie in der Fleet Road. Halten Sie den Verkehr auf, sofort.«
Vor dem Krankenhaus sammelten sich schon Sanitäter in ihren grünen Uniformen, die auf das Zeichen warteten, dass der Tatort sicher war. Auf der oberen Ebene des Parkplatzes standen dicht an dicht Krankenschwestern und Patienten in Bademänteln und schauten nach unten. Kurz darauf tauchten die ersten beiden Streifenwagen auf. Sie stellten sich quer auf Straße und Gehweg und stießen dabei gegen die zusammengeklappten Tische angrenzender Cafés und die Gemüsekisten des Bioladens. Ein paar Minuten später sprang Belseys Chef, Inspector Tim Gower, aus einem Ford S-Max. Er war in Zivil und ging mit schnellen Schritten auf das Blutbad zu. Ein blondes, vielleicht achtjähriges Mädchen schaute aus dem Rückfenster seines Wagens. Es hatte ein Bilderbuch in der Hand. Dann sah Gower Belsey.
»Sind Sie verletzt?«
Erst jetzt merkte Belsey, dass er von oben bis unten mit Blut verschmiert war.
»Nein, alles okay.«
»Was ist passiert?«
»Jemand hat auf das Starbucks geschossen. Hörte sich an wie ein Gewehr.«
»Haben Sie den Täter gesehen?«
»Nein.«
»Irgendeine Ahnung, wohin er geflüchtet sein könnte?«
»Nein.«
Gower gab Befehl, niemanden mehr durchzulassen, bis bewaffnete Beamte am Ort seien. Dann ließ er sich von Belsey die wenigen Fakten berichten: acht Schüsse, vor etwa fünf Minuten, keine Spur von einem Schützen.
»Rühren Sie sich nicht vom Fleck«, sagte Gower. Er wandte sich an die anderen Beamten, gab Befehl, den Tatort abzusperren, und rief den Passanten zu, sie sollten den Platz räumen.
Drei Minuten später erschienen die bewaffneten Polizisten der Armed Response, kurz darauf traf auch das Homicide and Serious Crime Command ein. Nachdem die gedrillten Jungs mit ihren Waffen eine zehnminütige Show abgezogen hatten, durften die Sanitäter und die Beamten von der Spurensicherung an den Tatort. Fünf Minuten später stand vor dem Starbucks ein weißes Zelt, das wie ein Airbag aussah. Kriminaltechniker stellten überall nummerierte Fähnchen auf. Sie schauten zum Himmel und redeten über Regen. Das Mädchen wurde auf einer Trage nach draußen getragen. Das Gesicht lag unter einer überflüssigen Sauerstoffmaske. Für dreißig verlegene Sekunden herrschte Stille, dann nahmen die Beamten ihre Arbeit wieder auf.
Belsey schilderte Detective Sergeant Joseph Banks vom Morddezernat den Hergang der Ereignisse.
»Ich habe niemanden mit dem Auto kommen und auch niemanden weglaufen sehen.«
»Wie viele Schüsse
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