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London NW: Roman (German Edition)

London NW: Roman (German Edition)

Titel: London NW: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zadie Smith
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nicht die Bohne. Für sie gilt man nur was, wenn man wieder bei ihr einzieht. Cheryl ist jetzt der große Engel. Sie kommen prima miteinander aus.«
    »Es ist halt schwer für sie, dich zu verstehen.«
    »Wieso? Was ist denn so schwer an mir?«
    »Du hast deine Arbeit. Du hast Frank. Du hast deine ganzen Freunde. Du bist wahnsinnig erfolgreich. Du bist nie einsam.«
    Natalie versuchte, sich die gerade beschriebene Frau vorzustellen. Leah setzte sich auf die Treppe.
    »Glaub mir. Mit Pauline ist das auch nicht anders.«
158. Verschwörung
    Natalie Blake und Leah Hanwell waren der Überzeugung, dass man versuchte, sie zur Fortpflanzung zu zwingen. Verwandte, Wildfremde auf der Straße, Leute aus dem Fernsehen, alle. Die Verschwörung ging allerdings noch weiter, als Hanwell vermutete. Blake spielte ein doppeltes Spiel. Sie hatte nicht vor, sich zu blamieren, indem sie nicht tat, was von ihr erwartet wurde. Für sie war es nur eine Frage des Zeitpunkts.
159. Im Park
    Leah war zu spät. Natalie saß draußen vor dem Café im Park, an einem Holztisch, ein breiter grüner Sonnenschirm hielt den Nieselregen ab. Die ersten zehn Minuten verbrachte sie mit ihrem Handy. Sie checkte die Anzeigen, sie checkte ihre Mails, sie checkte die Tageszeitungen. Sie steckte das Handy wieder ein. Weitere zehn Minuten lang sprach niemand mit ihr, und sie sprach mit niemandem. Eichhörnchen und Vögel kamen und verschwanden wieder. Je länger sie allein blieb, desto mehr verschwamm sie vor sich. Eine aus einem Krug gegossene Flüssigkeit. Sie sah sich von der Bank zu Boden gleiten und Tiergestalt annehmen. Auf allen vieren gelangte sie bis ans Ende der feuchten Asphaltfläche und drang auf Gras und Mulch vor. Und weiter, schneller jetzt, immer mehr im Einklang mit der vierbeinigen Fortbewegungsform, rasch über den Rasen und die künstlichen kleinen Hügel, durch den Garten der Stille und die Blumenbeete bis ins Gebüsch, über die Straße und weiter zum Bahndamm, laut heulend.
    »Sorry, sorry, sorry! Die Central mal wieder. Mann, das ist hier ja die reinste Kinderkrippe.«
    Natalie hob den Kopf zu den Kindern und dem Chaos an den Tischen ringsum und lächelte ihre Freundin unverbindlich an und überlegte, an welchem Punkt ihrer Mittagsverabredung sie Leah ihre Neuigkeiten erzählen sollte.
160. Im Zeitraffer
    Die Welt wird von einem System aus Bildern bestimmt. Wir warten auf eine Erfahrung, die gewaltig oder grässlich genug ist, es zu stören oder gleich ganz aufzubrechen, aber irgendwie kommt dieser Augenblick nie. Vielleicht kommt er ja ganz am Ende, wenn alles zusammenbricht und keine Bilder mehr möglich sind. Vermutlich kommen in Afrika die Bilder, die einem Leben Form und Bedeutung geben, in deren Umgrenzungen man als Person einfließt – der Weg vom Sohn zum Häuptling, von der Tochter zur Beschützerin –, aus der Welt der Natur und der kollektiven Vorstellung der Menschen. (Wenn Natalie Blake von »Afrika« sprach, meinte sie damit »zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt«.) Unter solchen Umständen lag vielleicht sogar eine gewisse Schönheit in der Ausrichtung des Einzelnen an den vielen.
    Die Schwangerschaft brachte Natalie nur noch mehr Bildfetzen aus der gewaltigen Masse an Kulturschutt, den sie tagtäglich über diverse Geräte, teilweise in einer Hand zu halten, teilweise nicht, aufnahm. Es langweilte sie, sich diesen Bildern entsprechend zu verhalten. Von ihnen abzuweichen, erfüllte sie mit der alten Sorge. Sie machte sich Sorgen, weil sie sich nicht um die Dinge sorgte, um die man sich zu sorgen hatte. Ihr Gleichmut erfüllte sie mit Angst. Er schien so gar nicht in das Bildersystem zu passen. Sie trank und aß genauso wie vorher und rauchte gelegentlich. Sie begrüßte die Formen, die ihre langweilig geraden Linien nun endlich annahmen.
    Über die bevorstehende Geburt sagte ihre alte Freundin Layla, die bereits drei Kinder hatte: »Als würdest du dir selbst am Ende einer langen dunklen Straße begegnen.«
    So sollte es für Natalie Blake nicht werden. Die Medikamente, die sie verlangte, waren erstaunlich, überirdisch; wenn auch nicht ganz so gut wie Ecstasy, brachten sie doch eine schwache Erinnerung an die Klarsicht und Freude jener glücklichen Tage mit sich. Sie empfand Euphorie, als wäre sie durch die Klubs gezogen und immer weiter durch die Klubs gezogen, anstatt heimzugehen, weil jemand Vernünftigeres zum Nachtbus wollte. Sie steckte sich Kopfhörer in die Ohren und tanzte zu Big Pun um ihr Krankenhausbett.

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