Lord Garrows widerspenstige Braut
meine Rolle als Lord spielen, dachte James und fuhr sich mit der Hand durch die dunklen Locken. Um sein Haar zu bändigen, hätte er Haaröl benötigt. Nein, es gelang ihm nach all den Jahren einfach nicht mehr, von Kopf bis Fuß ein Gentleman zu sein. Er war sich nicht einmal sicher, ob er das überhaupt noch wollte – sich fünfmal am Tag umziehen, Haaröl, belanglose Plaudereien.
Er seufzte. Am schwersten fiel es ihm, Susanna gegenüber Gentleman zu bleiben. Noch war sie nicht bereit dazu, das Bett mit ihm zu teilen. Und er hatte ihr versprochen, das zu respektieren.
"Gentleman oder nicht, ich bin ein Ehrenmann", sagte er sich halblaut. "Auf zur Eroberung von Drevers."
Dann ging er Susanna suchen. Es wäre peinlich, wenn sie ihm durchs Heidekraut hinterherlaufen würde. Da kann ich genauso gut den alten Ponywagen aus dem Stall holen und nachsehen, ob die Räder noch in Ordnung sind.
"Da bist du ja!" begrüßte Susanna ihn. Sie hatte im selben Moment wie er den Flur betreten.
Er antwortete nicht, sondern starrte sie nur an, als hätten ihn ihre Worte auf der Stelle festgenagelt. War sie nicht gut genug angezogen? Susanna blickte auf ihr schlicht geschnittenes grünes Tageskleid aus Seidentaft hinunter. Über die Schulter hatte sie ein Plaid aus weicher Wolle geworfen, das ihr eine der Frauen aus der Umgebung zur Hochzeit geschenkt hatte. "Ist es unschicklich, wenn ich den Tartan so trage?" fragte sie unsicher.
Er schüttelte den Kopf, bevor er sich räusperte. "Nein, das ist völlig in Ordnung. Das Tuch steht dir gut. Ich brauche noch etwa eine Viertelstunde, um nach dem Wagen zu sehen", sagte er und blickte die Treppe hinunter. "Es riecht nach Kaffee. Hilda ist in der Küche, nehme ich an. Bitte, sei so freundlich und sorge dafür, dass uns Frühstück gemacht wird. Ich komme gleich in die Küche nach."
"Eine hervorragende Idee. Ich erwarte dich unten." Susanna blickte ihm nach, während er über die Wendeltreppe nach unten verschwand. Er klang diesen Morgen so anders. Distanziert. Förmlich. Furchtbar englisch. Es war wohl besser, auf alles vorbereitet zu sein.
9. Kapitel
"Bitte, denke stets daran, dass Mr. Colin … nun ja, er ist anders als die Menschen, die du kennst", warnte James Susanna.
Amüsiert blickte Susanna ihn an. Sie fand es lustig, dass ausgerechnet James das sagte. Zumal die Unterschiede zwischen ihnen und Mr. Colin doch offensichtlich waren.
"Ich meine, er ist ziemlich arrogant für einen Mann seines Standes", erklärte James.
"Du hattest schon öfter mit ihm zu tun?", fragte Susanna und hielt sich am Rand des Wagens fest, als eines der Räder durch ein Schlagloch holperte.
"Ich habe ihn mehrfach gebeten, seine Leute anständig zu versorgen. Er meinte, ich solle mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern. Er denkt, Drevers sei sein Eigentum. Und praktisch war es das auch. Sein Wort ist Gesetz in Drevers. Er braucht bloß die Peitsche zu heben, und schon gehört die Pacht ihm."
"Er ist also nicht nur arrogant, sondern auch grausam?"
James zuckte mit den Schultern. "Ich hätte nicht tatenlos zugesehen, wenn er gewalttätig geworden wäre, Susanna. Das weiß er, denke ich, auch. Aber zuzusehen, wie Menschen hungern – meiner Ansicht nach muss man grausam sein, um das zu können. Alle, die Drevers verlassen konnten, sind gegangen. Ein paar deiner Leute sind bei mir als Pächter untergekommen, andere sind ausgewandert. Es sind nicht mehr viele Leute da."
"Ja, aber wer wirtschaftet denn dann in Drevers?", erkundigte sich Susanna überrascht.
"Dazu braucht es nicht viele Leute. Ein paar Schäfer, das ist alles. Für die Schafschur heuert Mr. Colin Leute an. Seine Herden sind gesund und produzieren sicher gute Wolle. Sehr profitabel. Um ehrlich zu sein – ich habe gedacht, dein Vater würde großen Profit aus dem Land herausholen wollen und den Landsitz aus Geiz herunterwirtschaften. Aber er hat behauptet, dass Drevers mit Verlust arbeitet. Ich verstehe das nicht. Mit den Pachten und der Schafhaltung müssen große Gewinne zu erzielen sein …" Sacht schlug James mit der Peitsche auf die Hinterbacken des Pferdes, um es anzutreiben.
"Warum macht Galioch dann keinen Gewinn?"
"Ich habe in den letzten Jahren Schulden beglichen, hohe Schulden. Um die Hypotheken auf Galioch auszulösen, musste ich alles verkaufen, was ich hatte. Dann waren Reparaturen an den Cottages fällig. Wenn ich Galioch wieder in Stand gesetzt habe und meine Schafherden verdoppeln kann, dann werde ich mit
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