Lords of Salem: Roman (German Edition)
von der Mitte zum Rand hin über das Vinyl bewegte.
» Wohin?«, fragte Heidi. » Zum Ende des Stücks?«
» Hm, ich wollte sagen, ›komisch, die Platte kann man nicht abspielen‹, aber jetzt läuft sie …«
» Was ist dann das Problem? Warum höre ich nichts?«
» Sie wird rückwärts abgespielt. Guck dir das an. So was habe ich noch nie gesehen.«
Heidi stand auf und ging zur Anlage.
» Verdammt«, sagte sie, » wie ist das möglich?«
Whitey schüttelte den Kopf. » Das ist nicht möglich«, sagte er. » Der Motor kann nicht andersrum laufen, es sei denn, du hast ihn irgendwie umgebaut.«
» Warum sollte ich das tun?«
Whitey zuckte die Achseln. » Ich versuch ja nur, eine Erklärung zu finden«, sagte er. » Ich unterstelle dir nichts.«
Gemeinsam beobachteten sie, wie die Nadel rückwärts über die Platte lief. Es sollte unmöglich sein, aber es geschah dennoch. Verflucht, ging es Whitey unwillkürlich durch den Kopf, Heidi will mich doch nicht irgendwie auf den Arm nehmen, oder? Doch sie schien genauso verwirrt wie er.
» Ich glaube, die Platte ist leer«, sagte Whitey. » Ich höre nichts.«
» Warum sollte sie leer sein?«
» Ich weiß nicht«, sagte Whitey. » Irgendein Gag?« Er wollte nach dem Tonarm greifen, um ihn herunterzuheben.
» Warte mal kurz.« Heidi beugte sich vor und drehte die Lautstärke bis zum Anschlag auf. Und jetzt konnte Whitey etwas hören: eine Art leises Stöhnen. Aber er hatte keine Ahnung, wie Heidi es bei normaler Lautstärke hatte wahrnehmen können. Vielleicht hatte sie es gar nicht gehört, sondern es nur auf gut Glück versucht.
Es waren stöhnende Stimmen, da war er sich ziemlich sicher, mehrere, oder dieselbe Stimme mehrmals übereinandergelegt. Es klang auf jeden Fall seltsam. Das Stöhnen wurde lauter und verschmolz mit einem rhythmischen Dröhnen. Das Dröhnen wiederholte sich dreimal, dann folgte ein Schlag in einer höheren Tonlage, und es begann von vorn. Zusammen mit dem Stöhnen übte es eine fast hypnotische Wirkung aus, und als Whitey weiter lauschte, hörte er noch etwas anderes. Was war das genau? Eine Art Knacken, wie von einem Feuer oder zerbrechenden Zweigen, aber eben nicht ganz. Und weiter im Hintergrund ertönten die disharmonischen Klänge verschiedener primitiver Instrumente, eine Flöte oder Pfeife, das Kratzen eines falsch gespielten Saiteninstruments, ein Ton, als bliese jemand in ein langes Rohr, ein Geräusch, als würde Sand gegen eine hallende Oberfläche geworfen: spatt, spatt, spatt . Es war alles ziemlich chaotisch, doch es fügte sich zu einem Ganzen, nicht unbedingt zu einem Song, eher zu einem monotonen Singsang. Die Musik (wenn man es so bezeichnen wollte) war umherschweifend und formlos. Doch es gab auch ein Motiv, wenn man genau hinhörte, eine sich wiederholende Struktur unter dem rhythmischen Dröhnen der Trommel, die allerdings keiner Auflösung entgegenstrebte. Irgendetwas daran – er konnte nicht den Finger darauflegen, dafür gab es zu viele Unterschiede in der Musik – erinnerte ihn auch an die Stücke, die sie von Leviathan and the Fleeing Serpent gespielt hatten. Vielleicht eine bestimmte Note? Oder eine sich wiederholende Figur, etwas ganz Untergründiges? Schwer zu sagen. Auf jeden Fall gab es eine Verbindung. Lag es nur daran, dass er sowohl vom einen als auch vom anderen eine Gänsehaut bekam?
» Mann, das ist wirklich ein abgefuckter Sound«, sagte er. Er blickte zu Heidi, doch sie sagte nichts, sondern starrte nur auf den Plattenspieler. » Ich mache es aus.« Als sie immer noch nicht reagierte, hob er die Nadel von der Platte.
» Wir sollten morgen unser Top-oder-Flop-Spiel damit spielen und sehen, was passiert«, sagte er.
Heidi gab noch immer keine Antwort. Sie schien in Gedanken versunken und stand wie gelähmt vor dem Plattenspieler.
Er berührte sie am Arm. » Heidi«, sagte er.
» Was?« Sie blickte verwirrt und ein wenig verängstigt zu ihm auf, als würde sie ihn nicht sofort erkennen.
» Sollen wir morgen Top oder Flop damit spielen, nur so aus Blödsinn?«, fragte Whitey.
» Ja, klar«, sagte Heidi.
Er wartete, dass sie fortfuhr, doch sie verfiel wieder in Schweigen. » Oder nicht«, sagte er.
Heidi legte die Hände an die Stirn und rieb sich die Schläfen. » Puh, ich bin plötzlich total müde.«
Vielleicht hatte er ihre Gastfreundschaft überstrapaziert. Das sollte man beim ersten Besuch besser nicht tun, vor allem, wenn man wiederkommen wollte. » Ja«, sagte er. » Ich sollte
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