Lords und Ladies
hätte sich dabei fast selbst außer Gefecht gesetzt,
weil er sich den Speerschaft ziemlich hart an den Kopf stieß.
»Sofort, Frau Wetterwachs.«
Sein rundes, ehrliches Gesicht verschwand hinter den Zinnen. Etwa
eine Minute später rasselten die Ketten des Fal gatters.
»Wie hast du das angestellt?« fragte Nanny Ogg.
»Ganz einfach«, erwiderte Oma Wetterwachs. »Er weiß, daß du seinen
hohlen Schädel nicht platzen läßt.«
»Nun, dazu würdest du dich ebensowenig hinreißen lassen. Das weiß
ich genau.«
»Nein, das weißt du nicht. Du weißt nur, daß ich bisher keine derartigen Maßnahmen ergriffen habe.«
Magrat hatte diese Sache bisher für einen Witz gehalten, doch jetzt stellte
sie sich als gar nicht so lustige Realität heraus. Im großen Saal des
Schlosses gab es einen sehr langen Tisch: Verence saß am einen Ende
und die zukünftige Königin am anderen.
Dabei ging es um die Etikette.
Dem König gebührte der Platz am oberen Ende des Tisches. Ganz
klar. Doch wenn Magrat rechts oder links von ihm saß, so mußten sie
beide den Kopf drehen, um miteinander zu reden, was sehr unbequem
war. Also kam nur das andere Ende des Tisches und Rufen in Frage.
Und dann die Logistik der Anrichte. Die leichte Möglichkeit hätte dar-
in bestanden, einfach hinüberzugehen und sich zu bedienen, aber das
ließ sich nicht mit der königlichen Tradition vereinbaren. Wenn Könige
damit begannen, sich selbst die Teller zu füllen, so stand das Ende der
Monarchie unmittelbar bevor.
Unglücklicherweise bedeutete das, sie mußten sich von Herrn Sprig-
gins bedienen lassen, der an einem schlechten Gedächtnis, nervösen
Zuckungen und einem Gummiknie litt. Um die Speisen aus der Küche
zu holen, benutzte er einen uralten und nervenaufreibend knarrenden
Aufzug. Der betreffende Schacht funktionierte dabei wie eine sehr lei-
stungsfähige Kühlanlage: Warme Mahlzeiten waren kalt, wenn sie den
Saal erreichten, kalte noch kälter. Niemand wußte, was mit Eiscreme und
dergleichen geschehen würde; wahrscheinlich hätte das Phänomen eine
Neuformulierung der thermodynamischen Gesetze erfordert.
Die Köchin schien einfach nicht zu begreifen, was vegetarische Kost
bedeutete. Die traditionel e Schloßküche bestand zum größten Teil aus
arterienverkleisternden Spezialitäten und bot so viele saturierte Fette an,
daß sie auf den Tel ern kleine Lachen oder wabbelige Klümpchen bilde-
ten. Gemüse diente nur dazu, Öl aufzusaugen, und in den meisten Fäl en
war es so gründlich gekocht, daß es sich als undefinierbare gelbe Masse
präsentierte. Magrat hatte der Köchin Frau Scorbic gewisse Dinge zu
erklären versucht, doch bei Worten wie »Vitaminen« wackelte das Drei-
fachkinn der Frau so drohend, daß die Fast-Königin aus der Küche floh.
Magrat nahm sich jetzt einen Apfel vor. Mit Äpfeln kannte sich die
Köchin aus. Sie fül te sie mit Rosinen und Creme und machte große,
gebratene und mehlige Dinge daraus. Magrat hatte aus purer Verzweiflung einen rohen Apfel aus der Speisekammer gestohlen und plante auch, herauszufinden, wo die Karotten aufbewahrt wurden.
Verence zeichnete sich undeutlich hinter silbernen Kerzenständern
und diversen Büchern ab.
Gelegentlich wechselten sie einen Blick und lächelten. Zumindest sah
es nach einem Lächeln aus – angesichts der großen Entfernung konnte
man nicht ganz sicher sein.
Offenbar hatte der König gerade etwas gesagt.
Magrat wölbte die Hände trichterförmig vorm Mund.
»Wie bitte?«
»Wir brauchen ein…«
»Ich habe dich nicht verstanden.«
»Was?«
»Was?«
Schließlich stand Magrat auf und wartete, während Spriggins ihren
Stuhl zum anderen Ende des Tisches schob, wobei die natürliche Blässe
seiner Wangen einer purpurnen Tönung wich. Die ehemalige Hexe hätte
ihren Stuhl auch selbst bewegen können, aber für Königinnen geziemte
sich so etwas nicht.
»Wir sol ten uns einen Poeta laureatus zulegen«, sagte Verence und
klopfte mit dem Zeigefinger auf eine bestimmte Stelle im Buch. »Jedes
königliche Schloß braucht einen Hofdichter. Solche Leute schreiben
Gedichte für besondere Anlässe.«
»Ja?«
»Ich habe dabei an Frau Ogg gedacht. Als Sängerin sol sie recht amü-
sant sein.«
Magrat verzog keine Miene.
»Ich, äh, ich glaube, sie kennt viele Reime für bestimmte Worte«, erwiderte sie.
»Das übliche Honorar beträgt vier Taler und ein kleines Faß Sherry.«
Verence sah auf die Seite. »Viel eicht kann
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