Loretta Chase
da noch die gesammelten Unterlagen deines
Cousins, die es durchzusehen gilt. Damit habe ich gerade erst angefangen.« Sie
winkte den aufreizend verschwiegenen Wänden zu. »Bis Sonntag dann, ihr
rätselhaften Gemäuer.«
»Wenn es
nicht regnet«, sagte Lisle.
Am selben Abend
»'Die
Wände haben Augen
und Ohren. Und immer schön nach unten schauen'«, wiederholte Lisle. »Das waren
seine letzten Worte?«
Die beiden
Damen nickten.
Spät waren
sie aus Edinburgh zurückgekehrt, wo sie noch mit Freunden diniert hatten.
Bei einem
leichten Nachtmahl erstatteten sie darüber Bericht, was sie von Frederick
Dalmays Bedienten erfahren hatten.
Letztlich
lief es auf diese beiden Sätze hinaus.
»Tut mir
leid, meine Lieben«, sagte Lady Withcote. »Unzusammenhängendes Gefasel, weiter
nichts.«
»Und kein
Geheimnis«, sagte Lady Cooper. »Alle Welt weiß, was Frederick Dalmay auf dem
Sterbebett gesagt hat. Jeder hat es für einen seiner Scherze gehalten.«
»Die
während seiner letzten Monate kaum noch jemand verstand«, ergänzte Lady
Withcote.
Alle Welt
hatte auch von seiner langjährigen Affäre mit einer Witwe aus der Gegend
gewusst. Überhaupt schien alle Welt über all seine Affären Bescheid zu wissen.
Wie es aussah, war Lisles Cousin den Damen einst sehr zugetan gewesen, und sie
ihm.
Allem
Anschein nach hatte sein Faible für das Sammeln seinem Faible für Frauen und
zweifelhafte Scherze in nichts nachgestanden. Wann immer er ein Buch, einen
Brief oder irgendein Dokument aufstöberte, in dem Gorewood Castle erwähnt
wurde, war er außer sich vor Freude. Allerdings hatte er keinen Hinweis
hinterlassen – zumindest keinen offensichtlichen –, welche Unterlagen über den
legendären Schatz Auskunft geben könnten.
Aber: »Die
Wände«, sagte Lisle.
Er schaute
zu Olivia hinüber, die ein Stück Kuchen auf ihrem Teller hin und her schob, wie
sie es mit fast allem getan hatte, was ihnen zu so später Stunde aufgetischt
worden war. Sie hatte ihr Essen gedreht und gewendet und sich nur gelegentlich
daran erinnert, einen Happen zu nehmen.
»Ja«, sagte
sie, in Gedanken sichtlich Anderswo weilend. »Die Wände.«
Freitagnacht, 28. Oktober
Die Gebrüder Rankin beobachteten Mary
Millar, wie sie, mit tatkräftiger Unterstützung
einiger seiner Kumpanen, ihren sturzbesoffenen Bruder aus der Schenke
schleifte.
»Nützlicher
Bursche, dieser Glaud«, sagte Roy.
»Wär mir
neu«, meinte Jock.
Mary Millar
war als Hausmädchen auf Gorewood Castle angestellt worden. Ihr Bruder Glaud
arbeitete als Flickschuster im Dorf, wenn er nicht gerade betrunken war. Die
Rankins hatten Mary wissen lassen, dass sie sich Sorgen um Glaud machten.
Könnte sein, dass er sich die Finger brechen würde, wenn Mary nicht netter zu
ihnen wäre und sich ein bisschen mehr mit ihnen unterhalten würde –
beispielsweise über alles, was auf der Burg so vor sich ging. Sie würden sich
übrigens auch Sorgen um sie machen, von wegen was ihr so alles passieren
könnte, wenn sie jemandem davon erzählen würde.
Wer Glaud
einen ausgab, war sein Freund. So waren die Rankins seine allerbesten Freunde
geworden. Jeden Abend, wenn Mary ihn holen kam, saß er nun mit seinen beiden
besten Freunden in einer Ecke und scherte sich um niemanden sonst. Sie setzte
sich dann dazu und sprach mit leiser, gehetzt klingender Stimme zu ihnen. Heute
Abend hatte sie ihnen von der Fahrt der beiden alten Damen nach Edinburgh
berichtet.
»Jetzt
wissen sie, was der Alte gesagt hat«, stellte Jock fest. »Aber graben tun sie
nicht.«
»'Wände
haben Augen und Ohren, aber immer schön nach unten schau'n'«, sinnierte Roy.
»So ’n Blödsinn. Was soll denn unter der Wand sein außer halt der Boden?« Jock
schaute sich verstohlen um, aber niemand hörte ihnen zu. Selbst wenn es hoch
herging in der Schenke, hielten die anderen stets einen gewissen Abstand zu den
Rankins. Zufrieden beugte er sich wieder über seinen Bierkrug. »Ist doch klar:
Wir haben
Sachen im Boden gefunden«, raunte er. »An der Mauer vom Wachturm. Mauer
is’ doch wie Wand.«
Darüber
musste Roy erstmal in Ruhe nachdenken.
Jock
starrte derweil in sein Bier. »Sie graben nicht«, murmelte er. »Warum graben
sie nicht? Also, ich mein jetzt, so richtig graben.« Er schüttelte den Kopf.
»Und wir können nich’ graben, solang die da sind.«
Roy
grübelte weiter.
»Ich werd
noch wahnsinnig«, jammerte Jock. »Die ganze Zeit könnten die ...«
»Vielleicht
bedeuten die Worte nicht das, was sie zu bedeuten
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